Kaum hatten wir uns in Sim´s Cosy
Garden Hostel in Chéngdū eingenistet, wartete bereits
das nächste Projekt auf uns: Essen. Da wir von der langen Zugfahrt
ziemlich erschöpft waren, trugen uns unsere Beine nur gerade ins gemütliche
Restaurant unseres Hostels, wo Domi Sweet & Sour und ich mir Gōng
băo Chicken bestellte. Dass
die Sìchuān-Küche
wirklich nichts für empfindliche Geschmacksknospen ist, wurde mir rasch klar,
als ich mit hochrotem Kopf und nach Luft schnappend inmitten feinst
geschnittener, feurig scharfer Chilli-Schoten das Hühnchen, die Gurken und die
Erdnüsse suchte.
Doch das war erst der Anfang. Am nächsten Abend testeten wir
den Sìchuān Hot Pot - Ursprung
unseres Fondue Chinoise. Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte, Pilze, Gemüse und sonst
alles was einen gelüstet, wird in einen Topf mit heissem, würzigem Öl oder
Suppe gegeben, anschliessend in eine frisch zubereitete Sauce aus Soja-Sauce,
Sesamöl, frisch gehacktem Knoblauch, geschnittenem Koriander und einer
gehörigen Portion Glutamat (wird hier treffenderweise Gourmet-Powder genannt) getaucht und gegessen. Was natürlich auch
nicht fehlen darf, ist der Sìchuān-Pfeffer,
ein gewöhnungsbedürftiges Gewürz, welches wir in unserer westlichen Küche
bisher kaum kennen. Ein leicht säuerlich-frischer Geschmack wird je nach Anzahl
Körner gefolgt von einem leicht bis stark prickelnden Gefühl bis hin zur
totalen Gefühlslosigkeit der Mundhöhle. Zur Erholung von Scharfem und
Prickelndem gönnten wir unseren Schlündern dann wieder Süsses, fettig
Frittiertes oder Gedämpftes, und sonst so was hier ziemlich an jeder Strassenecke
gekauft werden kann. Gebratene Kaninchenköpfe, Schweineohren und Hühnchenfüsse
zum Knabbern liessen wir aus...
Nachdem wir einen daoistischen und
einen buddhistischen Tempel besucht hatten, zwischen riesigen Wohntürmen und
Hochhäusern herumspaziert waren und uns in einem Meer von Elektro-Scootern treiben liessen, war es an der Zeit in
etwas ländlichere Gegenden weiter zu ziehen. Doch es dauerte einen Fahrradtag,
bis Christof und Esther und wir aus der städtischen Zone heraus waren. In Dūjīangyàn nahmen wir uns ein
Hotelzimmer mit chinesischem Frühstück für 200 Yuan (CHF 31) und trauten
unseren Augen kaum, als wir die Zimmertür öffneten. So ein Luxuszimmer hatten
wir seit dem Iran nicht mehr! Bevor wir also unsere Zelte wieder öfters
aufstellen würden, genossen wir hier noch einmal richtigen Luxus. Wir fanden,
dass dazu auch ein anständiges Abendessen gehörte und suchten ein gutes
Restaurant auf. Wie so ziemlich überall wo wir auftauchen, verstummten auch
hier die Gespräche, alle Augen auf uns gerichtet. Wir grüssten freundlich,
ernteten viel Lächeln und ein "Hallu?"
oder "Chello!"und die Leute
widmeten sich wieder ihren Tischnachbarn und dem Essen. Nachdem uns die
Kellnerin die Karte gereicht hatte, wurde uns rasch klar, dass wir so nicht
weiter kamen und bestellten kurzerhand das Fischgericht, welches bei unseren
Nachbarn auf dem Tisch stand und deuteten auf verschiedene Zutaten in der
Küche, aus denen der Koch uns dann ein leckeres Gericht zauberte. Dies sollte
unsere Hauptstrategie werden in China an geniessbares Essen zu kommen. Die
netten Tischnachbarn boten uns später noch etwas von ihrem Wein (50%iges
Feuerwasser!) an, den Christof als erster kostete. Durstig wie er war, kippte
er das erste Glas in einem Zug hinunter, und das zweite ebenfalls. Unsere
chinesischen Tischnachbarn lachten laut auf, riefen "velly good, velly good!", unterhielten sich angeregt und
fragten dann, nachdem sie einige Wörter zu einem Satz gebüschelt hatten: "Ale you Lussian?" Wir verneinten,
versuchten ihnen auf Chinesisch mitzuteilen, dass wir aus der Schweiz sind
(klappt in den wenigsten Fällen, obwohl wir nie kapierten warum sie unser "Ruìshì" nicht verstehen...
vielleicht sollten wir das nächste Mal anfügen Logel Fedelel...) und schauten zu, wie sie uns "Wein trinken
auf Chinesisch" vordemonstrierten: Vorsichtig nippend und
schlückchenweise.
Bisher fühlten wir uns ja auf jeder
Etappe unserer Reise noch ein bisschen daheim, denn die Umgebung - die Leute
und die Natur um uns herum veränderten sich mit jedem Kilometer, den wir hinter
uns liessen entsprechend langsam. So blieb eigentlich immer alles
"normal". Doch nun, nachdem wir eine beachtliche Strecke mit dem Zug
zurückgelegt hatten, erlitten wir einen Schock: Von der Trockenheit
Zentralasiens wurden wir in das feuchte Klima Südwest-Chinas katapultiert.
Überall wo wir hinsahen, floss Wasser, dem Geröll und der Erde auf der Strasse entsprechend
ab und zu auch zu viel, dichter Regenwald überzog die Berge, die hoch über unsern
Köpfen endlos im Nebel verschwanden. Zikaden zirpten im Dschungelbeat und
handgrosse Schmetterlinge tanzten dazu im Wind und irgendwo da draussen waren
sie und warteten darauf gefunden und geknuddelt zu werden - die riesigen,
bambusschmatzenden Pandas. Ein bisschen wehmütig zwar den Vegetationswechsel
verpasst zu haben, doch bereit neues zu erleben, fuhren wir weiter, in Richtung
tibetisches Hochplateau.
Da wir aufgrund unseres 30-Tage Visums
etwas unter Zeitdruck standen, hatten wir unsere Tagesetappen vorgeplant, doch
dieser Plan war schon nach dem ersten Tag in den Bergen Sìchuāns zum Scheitern verurteilt - die Strasse war zu schlecht um
schnell vorwärts zu kommen. Anstatt nach Wòlóng
reichte es nur bis Gengda, wo wir in
einem nigelnagelneuen Hotel einquartiert wurden - die Matratzen und Bettlaken
waren alle noch in Plastikhüllen eingepackt. Am nächsten Tag fuhren wir weiter
das grüne Flusstal hinauf, bis an den Fuss unseres ersten Viertausenders,
leider ohne einen einzigen Panda gesichtet zu haben. Die Bären seien momentan
alle in den Bergen, hiess es am Tor zum Reservat. Etwas enttäuscht kamen wir
zuhinterst im Tal an. Dort gab es weder Hotel noch gescheiten Zeltplatz und
nach ein paar Brocken Chinesisch und viel Pantomime durften wir in einem
nigelnagelneuen Wohnhaus in der Eingangshalle übernachten. Überhaupt gibt es
viel Nigelnagelneues in China - unglaublich, wie viele Baustellen - seien es Häuser,
Strassen oder sonstige Infrastrukturprojekte - wir jeden Tag sehen.
Von unserem Viertausender am nächsten
Tag kriegten wir aber ausser dem Sauerstoffmangel nicht viel mit: Während wir
34 km ganz ohne zusätzlichen Sauerstoff (am Strassenrand lagen etliche leere
Sauerstoff-Dosen) in den Himmel hinauf fuhren, umgab uns dichtester Nebel.
Obwohl psychologisch ganz wertvoll (die endlosen Haarnadelkurven über uns
blieben verborgen) beraubte uns der Nebel der Aussicht auf die umliegenden
Berge oben auf dem Pass. So verloren wir nicht viel Zeit in der Höhe und fuhren
auf der anderen Seite runter ins Tal - wo die Sonne schien! Endlich, seit Kashgar sahen wir zum ersten Mal wieder
die Sonne, die das Tal, die Wälder, die Berge in schönes, warmes Herbstlicht
tauchte.
Der hohe Pass, der die beiden
Flusstäler voneinander trennt, ist wohl öfters die Grenze zwischen Nebel und
Sonnenschein: Während auf der fernen Seite vor allem exotische Pflanzen und moosbewachsene
Tannen die Berghänge bedecken, wachsen hier fast nur europäisch wirkende
Nadelwälder.
Wir genossen die Abfahrt nach Rìlóng, wohlwissend, dass wir noch
einmal 200 Höhenmeter zu bewältigen hatten. Doch mit einer Extra-Portion Sonne
sollte das kein Problem mehr sein. So kurvten wir auf endlosen Serpentinen
hinunter ins Tal, wo wir plötzlich, inmitten grüner Terrassen-Hänge ein
Städtchen erblickten. Konnte das schon Rìlóng
sein? Wo war denn die Gegensteigung? Der Grund ist folgender: Die chinesische
Karte in google.maps ist aus einem unerklärlichen Grund systematisch um einen
unbekannten Faktor verschoben. So führt uns unsere Routenplanung nun nicht
immer genau entlang der Hauptstrasse, sondern öfters über irgendwelche
Erhebungen, die sich einige 100 Meter neben der Strasse befinden, so dass unsere
Tagesetappen im Computer dann meistens anspruchsvoller erscheinen als sie in
Wirklichkeit sind. Wir nehmen es gelassen - der Fehler sorgt meistens für
positive Überraschungen. Mit dem Viertausender in den Beinen und
aufgrund Esthers und Domis Erkältung wollten wir uns zwei Ruhetage gönnen:
zweimal knapp 60 km abwärts und dann Hotelzimmer geniessen. Sowieso blieb unser
Zelt öfters ungebraucht, da es hier erstens praktisch in jedem Kaff eine
Unterkunft gibt, und diese dann meistens auch sehr preisgünstig ist, so dass
wir uns diesen "Luxus" leisten können. Ausserdem fehlt es hier
schlicht und einfach auch oft an guten Campingmöglichkeiten. Die Täler sind
meistens so schmal, dass neben Fluss und Strasse nicht mehr viel Platz bleibt
zum Zelten.
So liessen wir unsere Beine hängen und
rollten gemütlich nach Xĭaojīn,
vorbei an Qiang-Dörfern (die Qiang sind eine chinesische
Nationalität, die eng verwandt ist mit den Tibetern. Die Frauen tragen ihre
Haare zu langen, schwarzen Zöpfen geflochten in ein schwarzes Tuch gewickelt,
an welches je nach Wohlstand viel oder wenig farbenfroher Schmuck geheftet
wird. An ihren Kleidern taucht immer wieder die Farbe Blau auf.), mit ihren
dreistöckigen festungsähnlichen Steinhäusern und den hohen Diaolou - Wehrtürmen, die gleichzeitig als Korn und Holzspeicher
dienen. In Xĭaojīn holten wir uns
alle einen Sonnenbrand beim Hotelzimmer suchen, die Auswahl war schlicht zu
gross. Schliesslich fanden wir ein günstiges Apartment für uns vier mitten im Zentrum,
direkt über dem Basar - ein Wecker am nächsten Morgen war überflüssig.
Wir
verbrachten den restlichen Nachmittag mit durch die Stadt Schlendern und Überlegen,
wo wir zu Abend essen wollten. Weder Christof und Esther noch wir hatten ein
Restaurant entdeckt, nur die Handvoll obligatorischer Nudelbuden. Beim
Diskutieren bemerkten wir plötzlich, dass direkt unter unserem Zimmerfenster
lauter Zelte aufgestellt wurden. Zu den Zelten kamen Grillstände, die nach und
nach mit leckeren Spiesschen aus Hühnchen, Lamm, Rind, Schweinefleisch, Pilzen
in allen möglichen Formen (Geschmack ist praktisch immer derselbe),
Lotuswurzeln, Kartoffeln, Tofu, Meeresfrüchten u.v.m. belegt wurden... Unsere
Diskussion war beendet.
Auf unserer nächsten Etappe machten
wir einen kleinen Abstecher in einen tantrischen (lamaistischen) Tempel (er lag
direkt an der Strasse). Ich wurde von einem der anwesenden Buddhisten
instruiert, wie man korrekt beim Gebetsritual vorzugehen hatte: Als erstes
wurden Räucherstäbchen angezündet, die man bei drei Verbeugungen in eine Mauer
vor dem eigentlichen Tempel steckte. Dann häuften wir Karma an, indem wir
dreimal im Uhrzeigersinn um den Tempel gingen und dabei die goldenen
Gebetsmühlen drehten. Der Buddhist schenkte mir anschliessend einen Stapel
Windpferdchen (kleine, farbige, mit Mantras bedruckte Papierchen, die auf einer
Erhöhung schwungvoll in den Wind geworfen werden und die dann in alle
Richtungen wegfliegen sollten - ebenfalls zur Anhäufung des Karmas). Ich warf
den Stapel hoch über den Kopf, und als Stapel landete er wieder unten an der
Treppe. Voller Schock fürchtete ich schon um mein Karma und sah es dahinschmelzen
wie Yakbutter, doch der Mann lachte laut, reichte mir noch einen Stapel und
zeigte mir wie man es richtig machte. Auch die unzähligen Gebetsfahnen in den
Farben des Himmels, der Wolken und der Reinheit, des Feuers, des Wassers und
der Erde, die neben und über uns im Wind tanzten bereicherten zahlreiche
Menschen bei jedem Flattern mit mehr und noch mehr Karma (Gebetsfahnen werden
alternativ verwendet um Gegenstände zu segnen und schützen, wie Häuser oder
einsturzgefährdete Brücken oder Felsen).
Nach der Übernachtung in Dānbā war das
gemütliche Abwärtsrollen vorbei und es ging die nächsten zwei Tage wieder
bergauf, der nächste Pass wartete auf 3900 m.ü.M. Doch erst sollte uns die
Strasse an einen Strand mit roten Steinen und anschliessend zu heissen Quellen
führen, wo wir übernachten wollten. Wir schauten immer wieder hinunter zum Bach,
und ja, die Steine waren etwas orange - aber rot? Irgendwann entdeckten wir am
anderen Ufer einen eigenartigen Felsen aus dem aus einer Röhre Wasser
sprudelte. Konnte das die heisse Quelle sein? Wir überquerten nacheinander langsam
den schmalen Baumstamm, der über den reissenden Bach führte (kein Seil woran
man sich festhalten konnte, nasskaltes Wetter, das das Holz glitschig machte,
Cleats an den Fahrradschuhen - was will man mehr?) und wurden bitter enttäuscht
- das Quellwasser war tatsächlich schön warm und stank nach Schwefel, doch rund
herum war alles so zugemüllt, dass an gemütliches Zelten nicht zu denken war.
Wir balancierten wieder zurück zu unseren Rädern und fuhren weiter. Ein paar
Stunden vor Sonnenuntergang blieben uns noch um ein besseres Zeltplätzchen zu
finden. Doch wie bereits erwähnt, diese sind hier spärlich gesät. Wir fuhren
weiter und weiter, immer höher hinauf, die 3000er Höhenlinie lange hinter uns
gelassen. Während die Jungs stramm weiter strampelten, setzte bei Esther und
mir definitiv die Erschöpfung ein. Uns war bereits jeder Platz recht um unser
Zelt aufzuschlagen - wir konnten bald nicht mehr. Nur noch die nächste Kurve -
und da sahen wir sie - Unmengen flatternder Gebetsfahnen, an Schnüren hoch oben
an den Berg befestigt. Wir gingen näher hin und sahen vier Jungs, die am Rand
eines mit Wasser gefüllten Beckens Hühnchenfüsse knabberten. Die heissen
Quellen!
Auch hier mussten wir erst unseren Mut beweisen, indem wir den Bach
über einen schmalen Baumstamm überquerten, doch die Männer übernahmen
glücklicherweise den Part mit den Fahrrädern. Wir stellten unsere Zelte neben die
zwei grossen, ausbetonierten Becken, in die direkt aus dem Berg heisses Wasser
floss. In beiden Becken schwamm Müll, doch es war bei weitem nicht so schlimm,
wie bei der unteren Quelle. Die vier Jungs zeigten uns, wie man das eine Becken
leeren konnte, um frisches Wasser einzulassen, was Christof dann auch
festentschlossen tat (er hat definitiv das Zeugs zum Bademeister). Das sauber
geschrubbte Becken mussten wir dann wieder mit dem "Stöpsel" verschliessen
(Jacken, Hosen, Tücher, Plastikplanen, Grasbüschel, Steine). Leider war das
Becken zu gross und auch am nächsten Morgen noch weit davon entfernt gefüllt zu
sein. Wir assen Nudelsuppe und als uns die Dunkelheit umgab, hüpften wir ins
andere heisse Becken, verdrängten, wie "sauber" wir das Wasser zuvor
angetroffen hatten, und gönnten unseren geplagten Muskeln etwas Wellness. Die
nächste Überraschung erwartete uns im Zelt - unsere Mätteli waren seltsam warm.
Wir griffen darunter und stellten fest, dass unser Zelt eine natürliche
Bodenheizung hatte. Dank des heissen Felsens schliefen wir in dieser Nacht auf
über 3000 Metern nur im Seidenschlafsack.
So gut erholt hatten wir uns nur
selten in einer Zeltnacht und so war der Anstieg zum nächsten Pass ein Klacks.
Wir überholten die Yaks und fuhren hinunter in die Steppen von Tagong, wo wir uns einen Yakburger
gönnten und in einem tibetischen Guesthouse einen Ruhetag einlegten. Wir
wuschen unsere schmutzigen Sachen und machten uns dann zu Fuss auf den Weg ins
nahe gelegene Ani Gompa
(Frauenkloster).
Der Weg dorthin führte über sumpfige Wiesen, vorbei an
tibetischen Nomadenzelten und hunderten von Yaks. Diese so mächtigen, gehörnten
und unvorteilhaft buckligen Tiere könnten einem wahrlich einen Schrecken
einjagen, wenn sie denn nicht so unglaublich schüchtern und ängstlich wären. So
überquerten wir die Yakweiden relativ gelassen während neben uns zwei ausgewachsene
Männchen einen Zweikampf austrugen. Etwas später fanden wir eine Klosterschule
und wir smalltalkten ein bisschen mit jungen Mönchen, die sich sichtlich
amüsierten ab den vier Langnasen, die hier so unerwartet auftauchten. Wir
besuchten das Klosterdorf und die Mani-Stein
Mauer (aufgetürmte Gebetssteine, in die das buddhistische Mantra Om Mani Padme Hum eingraviert ist,
welches ebenfalls auf alle Gebetsfahnen gedruckt wird, in grossen Lettern
unterhalb von Berggipfeln zu lesen ist oder in den fünf Farben Blau, Weiss,
Rot, Grün, Gelb an Felswände gemalt wird).
Während des Ruhetags planten wir auch unsere
nächste Etappe: Innerhalb der nächsten acht Tage mussten wir in eine
Bezirkshauptstadt gelangen, um unser Visum auf dem Public Security Bureau zu
erneuern. Das Problem - die Chinesischen Herbstferien, die sogenannte Golden Week
hatte soeben begonnen. Acht Tage, an denen ganz China gleichzeitig Ferien
machte. Dies bedeutete in Massen besuchte touristische Attraktionen,
erheblicher Verkehr auf landschaftlich spektakulären Strassen und ausgebuchte
Hotels in den Ferienregionen. Zudem blieben öffentliche Ämter, wie z.B. das
Public Security Bureau während dieser Tage geschlossen. Wir hatten Glück, denn
unser Visum war bis zwei Tage nach der goldenen Woche gültig. Zwei Tage mussten
einfach ausreichen um diesen neuerlichen Papierkrieg zu erledigen. Einzige
Bedingung - wir mussten rechtzeitig in einer Bezirkshauptstadt ankommen. Esther
und Christof entschieden sich noch einige Tage im Hochland zu verweilen um dann
ins nahe gelegene Kāngdìng zu radeln,
während Domi und ich dem Touristenstrom entfliehen wollten und uns für die
weniger frequentierte S215 entschieden, die über Jĭulóng hinunter nach Xīchāng
führt. So verabschiedeten wir uns nach einem Monat gemeinsamen Reisens von
Christof und Esther und machten uns auf den Weg.
Im Schnitt würden wir 60 km
pro Tag auf erhoffter gut asphaltierter Strasse zurücklegen müssen, um Xīchāng rechtzeitig zu erreichen. Das sollte zu
schaffen sein, denn nach nur einem Viertausender würde die Strecke meistens
bergab verlaufen. So fuhren wir dem Fluss entlang das Tal hinunter, vorbei an
Häusern, deren Architektur sich bereits wieder änderte - die tibetischen
flachen Steinhäuser waren nun öfters versehen mit traditionell chinesischen geschwungenen
Dächern - wir waren wieder unterwegs in eine neue Region Sìchuāns. Die weite Hochebene wandelte sich nach und nach in eine
schmale Schlucht, die uns nach fast 100 km (Vorarbeiten ist nie schlecht) nach Shade führte. Auch hier hatte es viele chinesische
Touristen, doch der Verkehr hielt sich sehr in Grenzen und wir fanden ohne
Probleme ein günstiges Zimmer. Gestärkt durch eine deftig-scharfe Nudelsuppe
mit Ei zum Frühstück fuhren wir weiter - heute erwartete uns der Viertausender.
Die Strasse wurde leider zunehmend schlechter und Domi war kurzzeitig ausgeknockt
durch eines allzu reichhaltiges Moon Cake (diese an Appenzeller Biberli
erinnernden Küchlein werden traditionellerweise während der Golden Week an
Familienmitglieder verschenkt. Sie triefen vor Öl und sind gefüllt mit einem
süssen Mus aus roten Bohnen, gespickt mit verschiedenen Sorten von Nüssen - um
es in den Worten von Max Willis, dem Rucksackskater und Künstler auszudrücken -
heavy duty!), so schafften wir es an
diesem Tag nur bis knapp unter den Gipfel. Wir übernachteten auf 4200 m.ü.M. in
einem verlassenen Stall und ausser ein paar "gwundrigen" chinesischen
Touristen, wurden wir nur von einer hungrigen, kleinen Ratte besucht, der
unsere Leimschleimpolenta mit Essiggemüse ebenso wenig schmeckte wie uns.
Am nächsten Tag erwartete uns auf der
anderen Seite des Passes wieder einmal die Sonne und erneut andersartige
Häuschen. Frauen schmücken ihre Häupter nun mit Hüten so riesig wie Doktorhüte
oder verdecken mit orientalisch anmutenden schwarzen Turbanen ihre Haare. Hier
leben die Yi, eine weitere
chinesische Nationalität. Am frühen Nachmittag erreichten wir die Stadt der
neun Drachen (Jĭulóng) und ich war zu
müde um weiter zu fahren. Wir suchten uns ein günstiges Hotel, doch dies stellte
sich schwieriger heraus als erwartet. Entweder sprengte der Preis unser Budget,
die Zimmer waren alle komplett belegt oder aber es hiess aus sonst einem Grund
"mei you" - gibt´s nicht.
Schliesslich fanden wir ein Hotel, welches uns für 450 Yuan aufnehmen wollte.
Während Domi aufgrund des horrenden Preises aufs Zelten drängte, bestand ich
darauf das Zimmer zu nehmen - obwohl es ein ziemliches Loch war und wir
umgerechnet 70 Franken (in der Golden Week steigen die Zimmerkosten ins
unermessliche) dafür bezahlen würden. Ich blieb hartnäckig, bezahlte und Jĭulóng hatte einen feuerspeienden Drachen
mehr...
Wahrscheinlich war es Intuition oder
aber die gerechte Strafe - eine Stunde später lag ich fröstelnd mit 38.5°C
Fieber im Bett und wurde wieder einmal geplagt von Verdauungsbeschwerden. Unter
den tibetischen Pilzen, die wir zu Mittag gegessen hatten, hatte sich wohl ein
fauliger eingeschlichen. Am Morgen hatte ich noch immer Fieber und Durchfall,
doch für diese Absteige noch einmal 70 Franken zu bezahlen, so krank war ich
dann auch wieder nicht. Wir rollten 43 km weit ins nächste Dorf, wo es
glücklicherweise ein Gasthaus hatte. Ein Zimmer mit zwei grossen Betten, zwei
Becken mit warmem Wasser um uns zu waschen und ein Plumpsklo gleich zwanzig
Meter die Strasse hinauf in einem kleinen Betonhäuschen war alles was wir
brauchten, und nur für 60 Yuan. Darüber hinaus wurden wir von der jungen
Mutter, die den Laden ganz alleine schmiss, zum Abendessen, Fischsuppe mit
Karpfen aus eigener Zucht, eingeladen. Da ich am nächsten Morgen immer noch
Fieber hatte, beschlossen wir noch einen Tag zu bleiben, mich auszukurieren und
dann an den darauffolgenden Tagen jeweils etwas weiter zu strampeln. Wir
machten einen Spaziergang und wurden bald einmal verfolgt von der gesamten örtlichen
Polizeitruppe in Zivil. Sie wollten eine Passkopie, machten eine Registrierung
und stellten viele Fragen, doch diese wohl eher aus persönlichem Interesse, als
aus Pflichtbewusstsein.
Die Einladung zum Mittagessen mussten wir leider
ausschlagen, denn wir waren bereits mit unserer Gastmutter verabredet. Diese
hatte ihren ge ge (älteren Bruder),
ihren di di (jüngeren Bruder;
nationale Minderheiten wie beispielsweise die Yi, sowie die Bevölkerung der sehr ländlichen Gebiete sind von
Chinas Ein-Kind-Politik ausgenommen - for
your information) deren beide tai tai
(Ehefrauen), sowie ihre lai lai
(Grossmutter) zum Mittagessen eingeladen und uns ebenso. Bei diesem fröhlichen
Beisammensein verstanden wir zwar kein Wort von dem was über und mit uns gesprochen
wurde, doch wir amüsierten uns blendend. Bald einmal merkten wir auch, aus
welchem Grund die Biergläser in China nur so gross sind wie bei uns
Schnapsgläser. Jede Minute steht wieder jemand aus der Runde auf, macht einen
Trinkspruch und dann werden die Gläser in einem Zug geleert, oder man stösst
persönlich mit jemandem an, sagt einen Spruch und leert die Gläser zu zweit. So
stand die eine tai tai plötzlich auf,
erhob ihr Glas gegen mich, sprach irgendetwas, und wir tranken gemeinsam. Sie
nickte, und sagte "wan mo!" - ich
überlegte, verstand und war erstaunt, dass sie noch ein zweitesmal anstossen
wollte, antwortete "Ok - one more!",
füllte unsere Gläser erneut, wir stiessen an, legten unsere Köpfe in den Nacken
und kippten das Bier runter. Die tai tai
rülpste, büschelte einen Satz und fragte mich "What is your name?" Ich stellte mich ihr vor und fragte sie
danach ebenfalls nach ihrem Namen. Sie rülpste erneut und entgegnete
angeheitert "My name is Wan Mo!".
Nach diesem feuchtfröhlichen Mahl zur Mittagsstunde verzogen wir uns in
unser Zimmer und verliessen es erst wieder im Morgengrauen.
Seit drei Tagen regnete es immer
wieder und wir trugen mehr oder weniger konstant unsere Regenbekleidung - zum
Schutz vor dem Regen, aber auch zum Schutz vor dem Spritzschlamm von unten: Die
Strasse wurde immer noch zunehmend schlechter, an ein rasches Vorwärtskommen
war nicht mehr zu denken. Uns fiel auf, dass es nach Jĭulóng viel weniger Verkehr hatte und wir schrieben dies den
fehlenden touristischen Attraktionen im unteren Teil des Tals zu - obwohl uns die
Schlucht und die Berge immer noch sehr beeindruckten.
In einem Dörfchen
unterwegs kamen wir jedoch der Sache auf die Spur: Ein Autofahrer teilte uns
mit, dass die Strasse weiter unten gesperrt sei. Ein anderer lachte uns aus und
sagte, wir hätten keine Chance vor dem 8. Oktober (zwei Tage bevor unser Visum
ablaufen würde) dort durch zu kommen. Wir hatten keine andere Wahl, als es zu
versuchen. Noch wussten wir ja überhaupt nicht richtig was passiert war.
Unsicher was uns erwartete, fuhren wir weiter bis ins Dörfchen, das kurz vor
der Stelle lag, die uns auf der Karte als gesperrt gezeigt worden war. Wir
fanden ein Guesthouse mit Dusche direkt neben dem Schweinestall. Die schmutzigen
Zimmer konnten einzig mit den ausgezeichneten Kochkünsten der Besitzerin wettgemacht
werden.
Wir informierten uns bei den gestrandeten Auto-, Bus- und
Lastwagenfahrern über den Strassenzustand. Ihre Zeichen waren relativ einfach
zu deuten: Ein Stück weiter vorne schien ein ganzer Hang herunter gerutscht zu
sein; an ein Durchkommen sei nicht mehr zu denken. Wir spielten fahrradtragende
Spaziergänger, worauf sich die Chinesen gegenseitig anschauten, diskutierten
und dann daumenhochhaltend nickten. Phuuh! Glück gehabt. Also fuhren wir am
nächsten Morgen früh los, denn wir wussten immer noch nicht genau, was uns
erwartete. Und tatsächlich - kurz darauf war die Fahrt zu Ende; Riesige
Gesteinsbrocken lagen mehrere Meter hoch aufgetürmt vor uns und blockierten auf
rund 20 Metern komplett die Strasse. Das konnte dauern, bis da wieder ein Auto
durchfahren konnte...
Wir hingegen befreiten unsere Räder vom Gepäck und
staunten nicht schlecht, als die herumstehenden Männer die Fahrräder und unser
Gepäck auf den Buckel schwangen und unsere Siebensachen eifrig und sicheren
Trittes über das Geröllfeld trugen. Ich war mit meinen rutschigen
Fahrradschuhen mehr als froh nur einen kleinen Frontroller und meine
Lenkertasche über den drohenden Abhang tragen zu müssen... Auf der anderen
Seite bedankten wir uns herzlich, bepackten unsere Räder wieder und fuhren
weiter - raus aus der unberechenbaren Schlucht und hoch den nächsten Pass. Schon
bei der ersten Haarnadelkurve merkte ich jedoch, dass meine Kräfte noch immer
nicht wieder vollständig zurück waren und der ganze Visumsstress setzte mir
langsam zu. Ich bettelte bei Domi um unsere Räder auf den nächsten Transporter
verladen zu dürfen, um die vor uns liegenden 1500 Höhenmeter etwas schneller
hinter uns zu bringen. Die gute Frau, die uns dann den Berg hinauffuhr kümmerte
kein Schlagloch und wir fürchteten bereits um den Zustand unserer Räder, als
wir sie oben auf dem Pass wieder ausluden. Die Abfahrt machten wir lieber
selbst, denn bis zum nächsten Ort waren es nur noch 30 km. Es wurden die
längsten unserer Reise - dass die Strasse noch schlechter werden konnte, damit
hatten wir nicht gerechnet. Strasse darf man die S215 auf diesem Abschnitt mit
Bestimmtheit nicht mehr nennen. Bachbett ist treffender.
Wir erreichten Mianning auf den Felgen und nahmen uns
das erstbeste Hotel. Noch vor der Dusche gönnten wir uns hungrig einen Hot Pot
- wir waren wieder im Sìchuān der
scharfen Küche angelangt. Anderntags erreichten wir endlich Xīchāng , wo wir uns als Erstes bei der
Polizei registrierten. Das Public Service Bureau besuchten wir einen Tag vor
Ablauf unseres Visums. Wir wussten, dass man als Tourist normalerweise einen
Monat verlängert kriegt, brauchten aber mindestens zwei für unseren Reiseplan,
der uns wieder zurück in die Berge führen soll. Auf gut Glück beantragten wir 90
Tage, worauf die Dame am Schalter abwinkte und sagte, nein, maximal einen
Monat. Doch nettes Nachfragen wirkte Wunder und tags darauf waren wir stolze
Besitzer unseres erhofften 60-Tage Visums. Jetzt kann unsere Tour weitergehen,
in den Süden der Wolken, nach Yúnnán.
Dank "Logel Fedelel" und "Wan mo" gschwing Tränge glachet! S Warte uf e nöischt Iitrag het sech wider mou glohnt... Wunderschön!
AntwortenLöschenx pscl
Hallo zaeme, schoen dass ihr in China angekommen seit.Scharfes Essen gehoert in sichuan dazu und in Yunnan wird es weitergehen. freut euch. Deshalb liebe ich China. Wenn ihr in Liiang seit meldet euch bei Lily 13988826672,yunnan.ecotours@gmail.com. Sie betreibt eine lokale reise agentur, die den Naxi gehoert. Wir waren im sommer mit ihr ein paar tage unterwegs und es war einfach super!!! Kostet ein wenig mehr aber meldet euch und sagt ein Gruss von Daniel aus Shanghai. Falls ihr nach Shuhe geht, schaut dort nach einem Kleiderladen der Indulgence und fragt nach Wensi dem Chef. Er kommt wie meine Frau aus Malaysia und wir haben ihn auch im sommer kennen gelernt.
AntwortenLöschenIn Malysia haben wir euch dann auch noch 1-2 uebernachtungsmoeglichkeiten. William Loo kommt vom Norden(Penang und meine Frau aus dem Sueden) Ich werde euch dir Adressen senden.
Gruss Daniel
Hei Janine =)
AntwortenLöschenHan gad letschti a dich denkt, bim schaffe ond ben ganz gspannt weder moll uf öii Siite gstosse.
Gsehn ich das richtig? Scho fast fertig?!
Öii Bilder sind recht ihdrücklich!
Ech hoffe, ier hend die Räis nebscht dr ganze Strängi au chönne gniesse.
Liebs Grüessli, Pascale vom Bhf Basel :)
HAHAHA ausgeknockt durch ein Moon Cake. da ist sicherlich noch anderes zeugs drin, als nur biberli zutaten. au lait.
AntwortenLöschenchrigu
Liebe Janine und Dominik,
AntwortenLöschenEure China-Fotos sind sehr schön, eben habe ich sie nochmals auf einem grössern Bildschirm angeschaut. Wir erinnern uns an unsere Reise. Wie schafft ihr das nur ganz ohne Guide? Unser Taxichauffeur konnte unsere Schrift nicht lesen, konnte uns also nicht an den gewünschten Ort bringen. So spazierten wir etwas im Quartier herum. Coiffeur auf der Strasse, die Zahnarztpraxen ähnelten unsern einfachen Coiffeursalons. Das war etwa vor 15 Jahren. Wie kommt ihr jeweils zu der landesüblichen Währung? Oder könnt ihr in Dollars oder Euro bezahlen?.
Wir hoffen, dass ihr eure gesundheitlichen Probleme einigermassen im Griff habt und noch viel positive Abenteuer erleben könnt.
Bei uns ist schönes, mildes Herbstwetter. Heute lag ich am Mittag auf der Terrasse im Liegestuhl.
Seid herzlich gegrüsst von
Elisabeth