Samstag, 20. Oktober 2012

Auf, in die Stadt am schönen Fluss am Fusse des Jadedrachen Schneebergs

TCM

Mit dem neuen Visum im Sack gönnten wir uns in Xīchāng noch einen letzten, richtigen Ruhetag, den wir mit durch die Stadt schlendern und gut essen verbrachten. Der Gang durch das Altstadtviertel Xīchāngs holte uns aber dann wieder aus der modernen Zivilisation mit ihren Fast Food Ketten, Shopping Malls und vielspurigen Strassen zurück ins ursprünglichere China, wo Kleider am Brunnen von Hand gewaschen und Kinder zum Pinkeln vor die Haustür gehalten werden, wo die Zukunft aus der Hand gelesen und Medizin auf der Strasse ausgebreitet und verkauft wird.

Die traditionelle chinesische Medizin kennt mehrere Tausend verschiedene Kräuter und Ingredienzien, welche in Vielstoffgemischen gegen allerlei Leiden eingenommen werden. Auch tierische Produkte werden immer noch gerne verwendet, obwohl viele der wirksamen Inhaltsstoffe mittlerweile synthetisch hergestellt werden könnten. Die Chinesen glauben, dass nur mit dem "echten" Produkt auch die Eigenschaften des jeweiligen Tieres auf den Patienten übertragen werden. So werden Millionen von Wildtieren immer noch jedes Jahr zu Salben, Tinkturen und Pulvern verarbeitet, Bären um deren Gallensaft wegen "angezapft" und Tiger regelrecht zerlesen, um allerlei "potente" Arzneien herzustellen. Der Handel mit bedrohten Tierarten ist zwar offiziell schon lange verboten, aber das kümmert hier vor Ort scheinbar die wenigsten: In schmucken Läden werden getrocknete Seepferdchen zum Verkauf angeboten und auf der Strasse erhält man getrockneten Tigerpenis und sehnige Tigerpranken - diese entweder am Stück, oder als einzelne Krallen. Illegal? Schwarzmarkt? - es kommt einem nicht so vor. Ein Foto zu schiessen wird uns dann aber unter heftigem Abwinken doch nicht erlaubt...



auch Medizin
Auch beim Essen legen die Chinesen grossen Wert auf die körperbeeinflussende Wirkung der Nahrung: Hier wird nicht wie bei uns nur noch das Beste des Tieres herausgepickt, sondern meistens das ganze Schlachtgut verwertet. Innereien, Hirn und Auge werden ebenso gegessen wie Speck und Filet, um die Tätigkeit der entsprechenden eigenen Körperteile positiv zu unterstützen. So gesehen war es auch nicht verwunderlich, als eine junge Mutter ihrem kleinen Buben anstatt dem leckeren "Fischbäggli" als erstes das Fischauge verfütterte - schliesslich soll das Kind später mal keine Brille tragen müssen. Nach einem westlichen T-bone Steak an Pfeffersauce und Pommes Frites verliessen wir also die Grossstadt wieder und fuhren in die umliegenden Hügel. 







typisches Haus der Yi
Dicht besiedelte Vororte verdünnten sich und liessen den verstreuten Yi-Dörfchen inmitten üppig grüner Natur Platz. Hie und da begegneten wir noch Granatapfelverkäufern am Strassenrand oder Bauern bei der Mais- und Reisernte, bis es schliesslich nur noch wir, die neue, asphaltierte S307 und die uns überholenden, laut hupenden Chinesen waren. Zum nächsten Pass sollten es noch ein paar hundert Höhenmeter sein - doch was gehört zu einer perfekten, neu asphaltierten, chinesischen Strasse? Genau - ein Tunnel. Unzählige dieser oft kilometerlangen, stickigen, schwarzen Löcher ohne Ventilatoren bereiteten uns schon Unbehagen durch meist unebenen Strassenbelag und zuweilen sogar Abzweigungen, die uns in der Dunkelheit überraschten. Die Tunnels der neueren, beleuchteten Sorte sind aber meistens eine wahre Freude - ersparen sie uns doch in dieser hügeligen Landschaft einige anstrengende Höhenmeter. 

Wie so oft, wartete auch bei diesem Pass auf der anderen Seite ein neues Landschaftsbild: Eine andersartige Vegetation zeugte von völlig neuen klimatischen Bedingungen. Das feuchtwarme Klima ermöglicht hier am Yalong Fluss das Wachstum von Bananenpflanzen und Kakibäumen, die mit ihren reifen Früchten die sonst grünen Gärten mit leuchtend orangen Farbtupfern verzieren. Ich freute mich aber, dass uns unsere Route ohne grosse Umwege wieder in die Höhe führte - Fahrradfahren in dieser schwülen Hitze ist ziemlich anstrengend (wer es gerne ausprobieren möchte trage seinen Hometrainer ins Tropenhaus des botanischen Gartens und strample eine Stunde - das käme der Sache wohl in die Nähe).

In einem grösseren Dörfchen fanden wir, umringt von staunenden und lachenden Kindern, ein günstiges Hotel. Das Zelt und auch den Benzinkocher haben wir hier in China schon lange nicht mehr gebraucht. Es findet sich praktisch in jedem kleinen Nest irgend eine günstige Unterkunft, die immer alles hat was wir benötigen: zwei mehr oder weniger saubere (zwar oft brettharte) Betten, fliessend Wasser (meistens Dusche und Toilette auf dem Zimmer) und heisses Wasser für Tee und Kaffee - dies alles für 3 - 8 Franken pro Person - je nach Standard. Auch das Essen ist hier so gut und günstig, dass wir uns nur noch ab und zu unser Frühstück selbst zubereiten. Doch auch hier ziehen wir die Nudelsuppe und Gŏubulĭ bāozi (wörtlich übersetzt: Fleisch- oder Gemüsegefüllte Dampfteigklösse, die die Hunde ignorieren) dem gezuckerten Instant Oatmeal und hartgesottenen Eier aus dem Wasserkocher vor. Um ein gutes Zmittag unterwegs geniessen zu können fehlt uns ein bisschen (ok, "bisschen" ist stark untertrieben - obwohl das chinesische Essen zum leckersten auf unserer Reise gehört, denken wir pausenlos an Berner Ankezüpfe mit Ballmooserhonig und frischem Öpfuchueche mit Nidle) das Brot und richtige Sandwichzutaten und so tanken wir unsere Energie jeweils verteilt auf mehrere, kurze Stopps mit Hilfe von verschiedenen Früchten, Nüssen und süssem Gebäck. Zum Znacht besuchen wir praktisch an jedem Abend ein chinesisches Lokal, in welchem wir für 6 Franken pro Person viel Reis und meist drei Gerichte bestellen. Nachdem wir allerdings hier in Pingchuang die Kellnerin für uns haben auswählen lassen und danach Schweinenieren und -magen erhielten (selten so was zähes gegessen), wandten wir uns rasch wieder unserer altbewährten Methode zu - bestellen was auf dem Nachbarstisch steht. Doch auch dies kann in die Hosen gehen: Was von weitem herrlich duftet oder aussieht wie gebratene Bohnen, entpuppt sich schnell einmal als in Öl gebratenes Schweinefett und Korianderlaub auf Korianderwurzeln an einer glutamatgeschwängerten Sojavinaigrette. Doch wer radelt hat Hunger und so essen wir meistens tapfer alles auf - dass die meisten Chinesen einen riesigen Anstandsrest zurücklassen, kümmert uns nicht - wir brauchen die Energie.

Chilliernte
fruchtbare Hochebene bei Yanyuan
Die nächsten 1500 Höhenmeter hinter uns lassend, öffnete sich vor uns unerwartet eine riesige, fruchtbare Hochebene. Bananenpflanzen waren Eukalyptusbäumen gewichen, ringsherum wurde fleissig Landwirtschaft betrieben und unter den Bauern herrschte Hochbetrieb - es war die Zeit der Ernte. In Einfahrten und Garagen, auf Schulhöfen und nicht selten mitten auf der Strasse waren Maiskörner, Nüsse, Reis und Chillischoten zum Trocknen ausgebreitet und entlang der Strasse verkauften Yi-Chinesen saftige Äpfel, und feine Mandarinen. 






Dörfchen
Nach der Hochebene folgte dann wiederum ein Flusstal, zur Abwechslung mal gesäumt von niederen Hügeln. Die wenigen Dörfer entlang der Strasse waren aufgrund der mit weisser Farbe umrandeten Ziegeldächer der Häuser oft schon von weitem sichtbar, doch zunehmend mischten sich nun auch einfache Blockhütten ins Dorfbild. Wir waren angelangt im Reich der Mosuo, eine der Naxi-Nationalität angehörende Volksgruppe, die sich vor allem durch ein Merkmal von den anderen chinesischen Ethnien unterscheidet: Hier haben die Frauen das Sagen.
Ausser politischen Angelegenheiten, dem Schlachten von Grossvieh und dem Ackerbau, kümmert sich bei den Mosuo die Frau um alles. In dieser matrilinealen Gesellschaft erledigt Sie den Haushalt, zieht die Kinder alleine auf und gilt als starkes Oberhaupt der Familie. Söhne bleiben im Haushalt der Mutter wohnen, wo sie ihr Unterstützung bieten und als "Onkel" bei der Erziehung weiterer Kinder in der Familie mithelfen. Im Erwachsenenalter besuchen sie des Nächtens ihre Geliebte in deren "Blumenzimmer", verlassen es aber bei Tagesanbruch wieder und kehren zurück in ihr Mutterhaus, wo sich das tägliche Leben abspielt. Bei der Erziehung ihrer eigenen Kinder spielen die leiblichen Väter dann aber keine Rolle. Nur einmal im Jahr werden sie von ihren Kindern besucht, die ihrem Vater bei dieser Gelegenheit so ihre Ehre erweisen.

Mosuo-Frau mit Sohn am
Zubereiten unseres Znachts
In einem dieser kleinen Blockhüttendörfchen fragten wir nach einer Unterkunft und landeten so bei einer Mosuo-Familie, die eine kleine Herberge führt. Die energische Mutter zweier Söhne und einer Tochter nahm unseren Besuch zum Anlass ein Hühnchen zu schlachten. Wir verstauten erst unser Gepäck in unserem bescheidenen Zimmerchen mit Reisstrohmatratze, welches sich direkt über dem Zimmer einer Yi-Frau befand, die auf dem selben Raum mit ungefähr fünf Kindern lebte, und beobachteten anschliessend die Hausmutter beim Zubereiten des Znachts: Erst wurde der armen Henne bei lebendigem Leib die Federn am Hals gerupft, dann ritsch-ratsch-ritsch-ratsch mit einem stumpfen Messer die Kehle durchgeschnitten, das Blut in ein Schüsselchen gegossen und als die Henne ausgezappelt hatte, wurde sie mit brühendem Wasser übergossen, so dass sie ihre Federn besser losliess. Das geschlachtete Tier wurde nun sorgfältig ausgenommen, das ungelegte Ei kam zusammen mit dem gründlich gewaschenen Darm und anderen Innereien in ein zweites Schüsselchen. Bei so viel Sorgfalt zweifelten wir langsam daran, dass die Innereien an die Schweine verfüttert würden und warteten gespannt auf unser Nachtessen. 
in der Mosuo-Herberge
Bald einmal wurden wir zu Tisch gebeten. Zu sechst sassen wir auf kleinen Holzschemelchen um einen kniehohen Tisch, vor uns ein Schälchen mit Blutpudding, und zwei Schälchen mit gehacktem Huhn (die mühevolle Arbeit Knochen zu entfernen wird hier gerne ausgelassen. Vom Kamm bis zur Klaue - es landet alles im Topf). Den Darm rasch identifiziert und grosszügig beiseite lassend stocherten wir in den Schälchen herum, bis wir ein Stück Fleisch zwischen den Stäbchen hatten und dieses in unser Reisschälchen sichern konnten. Nur zu gerne hätte ich der gastfreundlichen Frau gesagt, dass wir doch unser Pouletbrüstchen vakuumverpackt in der Migros zu kaufen gewohnt sind. Glücklicherweise gab es auch noch rohe Kartoffelrösti dazu, die gleich vor meinem Reisschälchen stand. Der besorgten Frau entging aber nicht, dass ich des Öfteren nach den Kartoffeln pickte und bot mir die besten und nützlichsten Teile vom Huhn an. Ach, hätten wir doch Kontaktlinsen getragen...


Nachdem wir unsere Bäuche mit Reis, Kartoffeln und der Hühnersuppe gefüllt hatten, legten wir uns schlafen und machten uns am nächsten Tag wieder auf den Weg, der uns an den Lugu-See führte. Hier leben die meisten der Mosuo, doch von der ursprünglichen Kultur ist nicht mehr viel zu sehen. Diese einzigartige, matriarchale Gesellschaft, die hier in dieser romantischen Umgebung lebt, lockte den chinesischen Massentourismus an und so grenzt nun ein Hotel oder Guesthouse ans nächste. Trotzdem genossen wir die zwei Rad-und Wandertage am Lugu-See zusammen mit vielen anderen chinesischen Touristen und tankten neue Energie und viel goldene Herbstsonne. 

Lugu See


"Romantik pur" am Lugu See













Reisanbaugebiet vor Ninglang
Als wir über die westliche Hügelkette nach Yúnnán radelten, wartete dort bereits das nächste Flusstal auf uns. Lehmdörfchen und wiederum mit alten Ziegeln bedeckte Häuser schmückten die grünen Berghänge und im weitläufigen Tal trafen wir auf emsige Chinesen bei der Reisernte. Da wir uns wider Erwarten plötzlich auf einer neuen Strassenführung bewegten, erreichten wir unser Ziel, Nínglàng bereits am frühen Nachmittag.





Bauern bei der Reisernte

Am nächsten Tag ging´s dann los auf über 3000 m.ü.M. wie gewohnt durch sehr ländliche Gegenden. Desöfteren nervten uns aber die psychopathischen Hunde, die ihren Hof am Strassenrand bewachten. Uns zwar meistens nur bis zu den Knien reichend, bellten sie schon energisch drauf los, sobald sie uns um die Kurve entgegenkommen sahen. Die glücklichen unter ihnen, die nicht angebunden waren, hetzten dann in unsere Richtung und zwangen uns zum Anhalten und Absteigen. Während Domi unser Revier, die Strasse, mit Geschrei, Andeuten eines Stockes, und im schlimmsten Fall Steinen als Wurfgeschoss gegen die wütenden Tölen verteidigte, schlich ich mich jeweils im Schritttempo davon. Gebissen hat noch keiner, doch es ist wahrlich eine Kunst, bei einer rasanten Talfahrt das Gleichgewicht nicht zu verlieren, wenn so ein Biest aus heiterem Himmel plötzlich aus dem Gebüsch auftaucht, dir wie ein geölter Blitz hinterherjagt und sich vorher nicht einmal durch Bellen bemerkbar macht, sondern alleine durch das hastige Schürfen der Krallen auf dem Asphalt verrät, dass er bereits bis zu deinen Hinterradtaschen aufgeholt hat. Da hilft nur - noch schneller in die Pedale treten und erst nach der nächsten Kurve durchatmen.


reicher Ertrag
Aussicht vom Pass - im Hintergrund
der Jadedrachenschneeberg









Yangtse am Spätnachmittag...

...und am nächsten Morgen













Nach einer rasanten Talfahrt erreichten wir am Abend den mächtigen Yangtse. Wir fanden ein einsames, aber perfekt gelegenes Hotel einer Naxi-Familie, assen altherkömmliche, chinesische Kost (will heissen:  Seit neustem stehen auch frittierte Bambusmaden auf der Speisekarte, für die wir allerdings nicht mutig genug waren) und waren im Bett kaum als die Sonne hinter den Berggipfeln verschwunden war. 


18 Haarnadelkurven später
Die nächste Bergetappe nahmen wir dann eine Stunde früher als gewohnt in Angriff, genossen die 18 Haarnadelkurven aus der Yangtse-Schlucht heraus, die anschliessende 20 km lange Staubpiste dann weniger, und erreichten das Städtchen Lìjiāng, die Stadt am schönen Fluss am Fusse des Jadedrachenschneeberges. Und wenn man die Grösse Chinas und die anders gewählten Routen bedenkt gilt es immer noch als vortreffliche Schweizer Pünktlichkeit: Zwei Stunden später trudelten Marianne und Tobias ein...



1 Kommentar:

  1. Hola, hola. Auso der send jo scho muetegi bem ässe.Das tschuderet mech mech mängisch rüdig.
    D Fotene send weder supper schön.
    Ech wönsche öich no e guete ond besseri Strosse
    Feleiz

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