Sonntag, 29. April 2012

In der Türkei - Çay und grosse Strassen

Während Tobias und Marianne innerhalb zweier Tage nach Istanbul rasten, genossen Domi und ich noch ein wenig länger Edirne. Wir besuchten verschiedene Moscheen und assen Kebap in diversen Zubereitungsarten. Abwechslungsweise bestellte Domi auch mal wieder panierte und frittierte Çiğer (Hühnerleber), während ich meine Kalorien jeweils mit Kuzu Şiş (Lamm-Spiesschen) oder Tavuk Şiş (Poulet-Spiesschen) wieder reinholte. Am nächsten Morgen wollten auch wir uns auf den Weg nach Istanbul machen, als wir eine Mitteilung von Marianne und Tobias kriegten: "Strasse ok. Achtung Steine werfende Kinder in den Slums von Çorlu! Umfahren!"

In unseren Reiseführern stand aber, dass dies erst in der Osttürkei ein Problem sein könnte. Und nun jetzt schon? Egal, wir entschieden uns den gleichen Weg zu nehmen, da sich das Projekt Umfahren in dieser Gegend etwas schwieriger gestaltete als erhofft. Je mehr man sich Istanbul näherte, desto mehr kanalisierte sich auch der Verkehr, bedingt durch den immer schmaler werdenden Landstreifen, der das Schwarze Meer (noch) vom Marmara Meer trennt. So fuhren wir aus Edirne hinaus, gespannt was uns in diesem grossen Land alles erwartete. Bevor wir dies jedoch schafften, wurden wir von einem lokalen Gemüsehändler auf der Strasse ausgebremst. Wir mussten anhalten, um den beiden Männern zu erklären, woher wir seien, dass wir verheiratet sind, und wohin wir fahren wollen. Ungläubig zeigte uns der eine den Vogel, nachdem wir ihnen unser Reiseziel mitgeteilt hatten. Wohl etwas mitleidig mit uns armen Velofahrern, schenkten die beiden uns kurzerhand zwei leckere Tomaten-Auberginen-Saucen und ein Glas eingemachte Pfefferschoten. Den Plastiktopf, der mindestens ein Pfund schwarze Oliven fasste, mussten wir dann ablehnen, denn unsere Taschen waren schon proppenvoll. Mit Kusshänden wünschten sie uns eine gute Reise und liessen uns weiterfahren.
Wie Tobias versprochen hatte, war die Strasse wirklich ok - zweispurig und ein zusätzlicher Pannenstreifen - was will man mehr? Die Landschaft sah im Übrigen auch nicht so aus, als ob es auf Nebenstrassen irgendetwas Spektakuläres zu sehen gegeben hätte, und so blieben wir auf der Schnellstrasse D100 Richtung Istanbul. Das praktische an so Schnellstrassen ist ja, dass immer mal wieder eine Tankstelle kommt mit Shop. Doch kaufen brauchten wir eigentlich nichts: Bei der ersten Tankstelle kam der Tankwart und fragte uns woher wir seien, ob wir verheiratet sind und wohin wir wollten. Danach brachte er uns einen Kaffee aufs Haus.
unser erster Blick aufs Meer...
Bei der zweiten Tankstelle schenkte uns der Tankwart nach dem gleichen Prozedere einen Tee, und gegen Abend dann, als wir bei der dritten Tankstelle einen kurzen Rast machen wollten (wir waren inzwischen wieder mindestens 110 km geradelt) sah ich wohl so kaputt aus, dass der eine Tankwart gleich mit dem Plastikstuhl angerannt kam, wo ich mich hinsetzen durfte und der Tankstellen-Manager persönlich aus seinem Büro kam, um uns Tee und türkische Kekse zu offerieren. Wir waren überwältigt vor Freude über die Gastfreundlichkeit der Türken. Da es schon spät und wir beide zu müde um Steinen auszuweichen waren, suchten wir in Çorlu ein Hotel. Nach einer warmen Dusche führte uns ein älterer Herr, der sich in der Lobby unseres Hotels mit seinen Freunden unterhielt, in ein nahegelegenes Restaurant. Uns gab dies die Gelegenheit eine weitere Variation des Kebaps zu kosten und ihm, sich mit seinen anderen Freunden zu unterhalten. Ich versuchte unser Menü auf Türkisch zu bestellen, da schnitt mir der Kellner das Wort ab und sagte: "Here we speak English, no Turkish! Turkish is bad - I´m Kurdish." Nachdem dies also geklärt war, bestellten wir halt wohl oder übel auf Englisch und assen unseren Kebap (wird hier übrigens nicht wie bei uns im Taschenbrot serviert, sondern auf dem Teller, mit Fladenbrot und Bulgur oder so und allerlei Gemüse...mmmh!). Der Kellner war sehr interessiert an uns, und setzte sich nach dem Essen noch zu uns an den Tisch. Wir erfuhren allerlei über den Konflikt zwischen Kurden und Türken und über schöne Gegenden, die wie besuchen sollten (vor allem in der Osttürkei). Natürlich bejahten wir auch wieder die Frage, ob wir denn verheiratet seien. "We believe in God. Do you believe in God?" war der nächste heikle Punkt... Doch die beiden Kurden (mittlerweile hatte sich auch der Koch zu uns gesellt und liess sich vom Kellner alles übersetzen) nahmen es mit Humor, als wir uns bei dieser Antwort für die Wahrheit entschieden. Als dann noch ein dritter, ziemlich bulliger Typ aufkreuzte und das Thema Fussball zur Sprache kam, wollten wir uns dann doch lieber mal verabschieden. Am nächsten Morgen fuhren wir zeitig los um die letzten 130 km nach Istanbul noch in einem Tag zu schaffen. Die Kinder in den Slums waren wohl alle noch am Schlafen und wir verliessen die Stadt unversehrt. Eine neue Mitteilung von Tobias machte uns allerdings etwas Sorgen: "D100 nach Istanbul KATASTROPHE. Umfahren!" Hätten wir uns einen Tag mehr Zeit genommen, hätten wir diesem Tipp schon folgen können. Uns zog es aber in die Stadt am Bosporus und wir nahmen einen weiteren Tag Pannenstreifen in Kauf. Wenn es denn noch einen Pannenstreifen gegeben hätte... Wir mussten also neben vorbeidonnernden Lastwagen und Autos das Gleichgewicht halten, während uns mehrere Male ein bis fünf Hunde gleichzeitig attackierten. Der Verkehr nahm dann zu, je mehr wir uns Istanbul näherten. Dies erleichterte das Fahren ziemlich erheblich, denn das Tempo nahm ab, und die Anzahl Fahrspuren nahm zu. Anstatt Hunden mussten wir nun aus Seitenstrassen herausfahrenden Autos ausweichen, denn auch hier gilt das Darwinsche Gesetz "Survival of the fittest". Und auf Fahrradfahrer scheint aus Prinzip nicht Rücksicht genommen zu werden. Mit geschärften Sinnen fuhren wir schliesslich auf einer mitunter zehnspurigen Strasse nach Istanbul hinein (sorry, aber hier noch Fotos für den Blog zu schiessen ging leider nicht). Vielleicht war es nur eine Laune des Windes, doch bei jeder Moschee an der wir zur Gebetsstunde vorbeifuhren sang der Muezzin gleich etwas lauter aus dem Minarett, wie wenn er uns vorbeifahren gesehen hätte. Nach unzähligen Autohupen (glücklicherweise freundlich grüssenden, nicht aggressiv vertreibenden) erreichten wir schliesslich den Bosporus (hier konnten wir endlich wieder Fotos machen...).

Um zu Manuel, Serra und Mael zu kommen, die uns für die Tage in Istanbul ihr Gästezimmer zur Verfügung stellten, mussten wir Europa verlassen und nach Asien übersetzen. Ein neuer Kontinent wartet...!
Wir blieben einige Tage in Istanbul, um uns zu erholen, etwas Sightseeing zu machen und um die ersten Visa zu organisieren.

Wir verbrachten viele Stunden in Starbucks Coffees, um übers Internet an die nötigen Informationen zu kommen. Etwa gleich viel Zeit brauchten wir, um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Botschaften zu gelangen. Egal ob mit Bus, Dolmuş, Auto, Fähre, Füniküler, Taxi, Tram, Metro oder Metrobus - es dauert mindestens ein bis zwei Stunden um in dieser riesigen Stadt von A nach B zu gelangen. Kein Wunder bei 20 Millionen Einwohnern... Das schwierigste war für uns, das Tadschikische Konsulat zu finden, das offenbar bereits zweimal umgezogen ist. Doch die Leute auf der Strasse waren sehr nett und halfen uns weiter. Ein Geschäftsmann rief schliesslich für uns mit seinem iPhone in die Botschaft in Ankara an, die uns dann die aktuelle Adresse mitteilte. Einmal vor Ort war es dann überhaupt kein Problem mehr und noch am gleichen Tag erhielten wir unser tadschikisches Visum ausgestellt mit GBAO Permit für das Pamir Gebirge. Himalaya, wir kommen! Doch zuerst fahren wir mit der Fähre aus Istanbul heraus. Auf zehnspurige Strassen haben wir so schnell keine Lust mehr...

Hier noch ein paar Eindrücke aus Istanbul. 

Montag, 16. April 2012

Bulgarien..."Nein"..."Ja"...also "Nein"? Oder vielleicht doch?

Liebe Leser, vorab werde ich aufgrund allgemeinen Interesses zwei Fragen klären: 
1. Die beiden Schweizer (nicht Marianne und Tobias) die wir in Serbien angetroffen haben, sind tatsächlich auf dem Weg von Zürich nach Luzern. Sie sind im August in Zürich (ihrem damaligen Arbeitsort) losgefahren, machen jetzt eine Tour d´Europe und werden in ca. einem Jahr in Luzern (ihrem Heimatort) wieder ankommen. Sie konnten uns bereits ein paar praktische Tipps zu Bulgarien geben, woher sie uns entgegenkamen. 
2. Unsere Reifen sind NICHT falsch herum montiert. Wahrscheinlich war jene Spur die Tobias interpretierte, gerade diejenige, welche Domi durch seinen Sturz inklusive einer 180° Drehung des Vorderrades, in den Sand gedrückt hatte. So, nachdem dies also geklärt ist, unsere neusten Erlebnisse aus Bulgarien.

In Vidin war der Bär los. Wir haben es erst auch nicht geglaubt, als wir an diesem tristen Sonntagnachmittag durch die menschenleeren Strassen des bulgarischen Städtchens schlenderten und unseren Waden eine Pause gönnten. Von den wuchtigen Betonbauten aus der Sowjetzeit erdrückt, suchten wir Zuflucht in einem der zahlreichen Restaurants (ganze drei haben wir gezählt) um unseren Radlerhunger zu stillen. Und da fanden wir sie - die Einwohner Vidins (über den Daumen gepeilt etwa zwanzig Leute) hatten sich zur selben Zeit das gleiche Restaurant ausgesucht um ausgelassen bei Speis und viel Trank den Feiertag (war es orthodoxer Palmsonntag?) zu geniessen. Unsere Unterhaltung wurde durch die laute bulgarische Musik etwas erschwert, aber dafür wurden wir durch die Tanzkünste unserer Servierdame bestens entschädigt. 

Anderntags schwangen wir uns wieder auf die Räder und fuhren endlich los Richtung Berge. Nach der ewig weiten Donauebene verliessen wir nun den Euroveloweg Nr. 6. Die Donau hatte uns schöne Landschaften und noch viel schönere Zeltplätzchen beschert, doch nun war es an der Zeit mal wieder ein paar Höhenmeter zu erstrampeln. Bei wunderschönem Wetter erklommen wir also die Ausläufer des Balkangebirges und erreichten pünktlich zur Mittagspause Belogradchik mit seiner türkischen Festung und den eindrucksvollen Felsformationen. 



Mit vollem Magen genossen wir anschliessend die rasante Abfahrt. Wir merkten rasch, dass sich Bulgarien bestens eignete für längere Fahrradtouren: In regelmässigen Abständen konnten wir unsere Wasserflaschen füllen, sei es am Dorfbrunnen oder an beschilderten Quellen am Strassenrand. Die Leute, denen wir begegneten, wurden nach und nach reservierter. Vielleicht war dies wieder die Ostblockmentalität, die wir bereits in der Slowakei kennengelernt hatten? Vielleicht aber auch, weil sich die Leute hier im Balkan um viel anderes kümmern müssen, als um ein paar Schweizer Radfahrer. Die Dörfchen schienen zunehmend verlassener, die Bewohner ärmer, die Kinder verwahrloster und schmutziger. Zuweilen fuhren wir an Blechhütten vorbei, die sich nicht gross von denjenigen in afrikanischen Slums unterschieden. Kaum zu glauben, dass wir uns noch in der EU befanden. 

Hunde in Bulgarien kommen zur Welt um entweder Häuser oder eine Ziegen- oder Schafherde zu bewachen, in seltenen Fällen Radfahrer zu vertreiben, oder, falls sie das Aussetzen im Strassengraben überleben (ich war nahe daran ein paar Welpen mitzunehmen, die kläglich nach Muttermilch fiepten), nach Serbien auswandern um sich dort auf Müllhalden herumzutreiben. Das bulgarische Hundeleben endet normalerweise wieder im Strassengraben, entweder als Matschköter oder lieblos in einem Plastiksack im nächsten Gebüsch entsorgt (für Schweine kann übrigens das gleiche gelten, jedoch ohne Plastiksack - so gesehen in Serbien). 

Doch nun wieder zu den angenehmeren Dingen. Bei unserer Zeltplatzsuche wurden wir immer mutiger. Das erste Schlafplätzchen war nur ungefähr 2 Meter von der Strasse entfernt, auf einem kleinen Felspodest direkt in einer Kurve gelegen. Da sich die meisten Autofahrer auf die Kurve konzentrierten und nicht auf uns, die wir von oben herabschauen konnten, verbrachten wir die Nacht ruhig und entspannt in unseren Zelten. Die Patronenhülse am Boden sahen wir glücklicherweise erst am Morgen. Danach ging es weiter durchs Balkangebirge. In Montana kauften Tobias und Dominik Proviant ein, während Marianne und ich uns dem Sprachenlernen widmeten. Wahrscheinlich hätte es umgekehrt etwas weniger lange gedauert, denn im bulgarischen BILLA ist natürlich auch alles in kyrillisch angeschrieben. Wir assen dann höllisch scharfe chinesische Instant-Noodle-Suppe (in lateinischer Schrift beschrieben) zum Znacht, die gerade richtig war um uns bei den Minustemperaturen kräftig einzuheizen. 

Auch ohne Donau fanden wir immer wieder schöne Plätzchen am Wasser um uns nach einem anstrengenden Tag ausgiebig zu waschen und zu erholen. Beim zweiten Zeltplätzchen stand bereits ein Tischchen für uns bereit (die Bierflaschen sind übrigens nur in Bulgarien ausreichend gross um auch durstige Radlerkehlen angemessen zu kühlen), und beim dritten Plätzchen liess sich Domi sogar zu einem Sprung ins kalte Nass überreden (was man mit einem Freibier nicht alles erreichen kann). Die Einkaufsprozedur wurde zunehmend interessanter. In Roman erhofften wir uns wiederum einen BILLA oder LIDL, fanden aber nur einen kleinen Minimarket vor, wo man folgendermassen einkauft: Man stellt sich hinten an, und wartet, bis man an der Reihe ist einer der beiden Verkäuferinnen die gewünschten Artikel zu nennen, welche diese dann aus dem Gestell hinter ihr hervorholt. Hier hilft eine gute Brille, um bis hinter die Ladentheke kyrillische Schriftzeichen entziffern zu können, ein gutes Gedächtnis, um während dem Anstehen nichts wieder zu vergessen was man kaufen wollte (denn sonst wartet man noch einmal eine Runde), und vor allem eine gute Konzentrationsfähigkeit, um bei einem "Nein, dies will ich nicht" nicht den Kopf zu schütteln, denn sonst landet auch dieser Artikel an der Kasse. Wir haben es während den sieben Tagen in Bulgarien geübt und geübt, doch wie die Bulgaren für "Ja" den Kopf zu schütteln anstelle zu nicken, fiel uns bis am Ende schwer und sorgte immer wieder für Missverständnisse. So waren Marianne und ich auch eher belustigt als enttäuscht, als uns Tobias und Dominik zur Zwischenmahlzeit ein Fleisch-Pommes Frites-Sandwich brachten, obwohl wir eher auf etwas leichtes, vegetarisches gehofft hatten. Dabei hatten die beiden doch so oft aufs Gemüse gezeigt und bei den Fritten vehement den Kopf geschüttelt... 

Im Nachhinein konnten wir die Extra-Kalorien aber gut gebrauchen, denn unser erster richtiger Pass wartete (Marianne und Tobias hatten schon etwas geübt am Arlberg). Auf 1525 m.ü.M. führte uns eine schlechte Asphaltstrasse, die glücklicherweise vom Schnee befreit worden war, und uns immer wieder einen Blick über das Balkangebirge ermöglichte. Das Wetter spielte leider nicht den ganzen Tag mit und wir mussten während der Bergfahrt etliche Male Pause machen um Regenbekleidung aus- und wieder anzuziehen oder den heftigen Regenschauer an uns vorbeiziehen zu lassen. Mir kamen die Pausen jeweils sehr gelegen, denn ich hatte nach der Donauebene immer noch meine Mühe mit Steigungen, die 5% überstiegen. 

Doch die Mühe wurde belohnt mit einer wunderschönen Abfahrt auf einer perfekt asphaltierten Strasse und einer Übernachtung in einem herzigen kleinen Antikhotel in Karlovo mit Internet. Dies gab Domi die Gelegenheit uns für den nächsten Tag eine Route aufs GPS zu laden, welche uns etwas abseits der grossen Strassen weiter in Richtung Türkei führen sollte. Wie ein ortskundiger Tourenguide führte er uns dann auf ruhigen Seitensträsschen immer weiter in die Pampa Bulgariens. 

Die Strässchen wurden ruhiger und verlassener, der glatte Asphalt wurde von Schlaglöchern abgelöst, die Schlaglöcher schliesslich von Schotter, der Schotter von Sand und da am Tag davor auch hier ein Gewitter übers Land fegte, der Sand von Schlamm. Doch das war nur kurz problematisch, denn bald schon lief das Wasser wieder bestens ab, bei einer Steigung von mindestens 5%. Als wir den höchsten Punkt endlich erreicht hatten, um kurz durchzuatmen, wurde uns (vor allem Marianne und mir) ein Boxenstopp bei der nächsten Gelateria versprochen und ebenfalls eine Pause im nächsten Hotel mit Spa, Whirlpool und Caipirinha Bar. 
Ich konnte es kaum erwarten in dieser Oase anzukommen und stieg gleich wieder in die Pedale. Die erfrischenden Gelati und einen eisgekühlten Caipirinha vor Augen achtete ich wohl etwas zu wenig auf den Weg und geriet etwas neben die Spur auf eine Sandfläche, wo ich offenbar kurz das Gleichgewicht verlor. Ich suchte mir also eine passende Möglichkeit am Wegesrand, lenkte geistesgegenwärtig und geschmeidig mein Fahrrad vom Weg und glitt sanft zu Boden wo ich mein Fahrrad und mich auf das weiche Laub bettete und aus meinem Traum von Whirlpools und Cocktailbars erwachte. 

Am Abend fanden wir dann wieder ein lauschiges Zeltplätzchen, das gleichzeitig von geschätzten 10´000 kleinen und grossen bis riesigen Zecken bewohnt wurde. Den Balkan langsam hinter uns lassend fuhren wir am nächsten Tag weiter bis nahe an die bulgarisch-türkische Grenze, vorbei an verlassenen Dörfchen und 1-PS-Fuhrwerken mit braungebrannten Feldarbeitern. In Biser genossen wir den letzten bulgarischen Abend in einem englisch geführten Campingplatz mit warmer Dusche, Toilette, Schweinshals, Pasta und bulgarischem Wein. Erholt und gut genährt machten wir uns auf den Weg in die Türkei wo man uns nach ca. 10 Passkontrollen endlich einreisen liess. In Edirne nahmen wir uns ein Hotel und genossen unseren letzten gemeinsamen Tag mit Marianne und Tobias. Die beiden haben in zwei Tagen einen Termin in Istanbul und müssen noch 230 km zurücklegen. Domi und ich gönnen uns hier eine Pause bei Leberli, Baklava und Moscheen. Inschallah!




Sonntag, 8. April 2012

Novi Sad - Vidin... zu viert unterwegs!

Novi Sad bot uns gerade die richtige Menge an Sehenswürdigkeiten, um eine kleine Stadtbesichtigung zu machen und trotzdem genügend Zeit zu haben, im Hotel unsere müden Beine hochzulegen. Wir hatten schon bald einmal das Bedürfnis, einfach mal nichts zu tun, überwältigt von all den Eindrücken, die wir auf unserer Reise bisher erlebt hatten. Am nächsten Morgen änderte sich dies aber schlagartig, der Himmel war stahlblau, und es drängte uns wieder zurück auf den Sattel. 
Wir wollten zeitig los, um am Nachmittag bereits in Belgrad zu sein, weil wir auch von der Hauptstadt einen kleinen Eindruck mitnehmen wollten. Der Weg führte uns z.T. über stark befahrene Strassen, auf groben Schotterpisten durch den Fruska Gora Nationalpark, oder durch kleine Dörfchen - immer begleitet von freundlichem Autohupen und winkenden Serben am Wegrand. 
Die Landschaft veränderte sich zunehmend. Die ewigen Dämme der Auenlandschaften hinter uns lassend, fuhren wir nun mehr und mehr durch hügeliges Gebiet. Auf einem besonders steilen Abschnitt - wir waren unterwegs mit einem Tempo um jeden Stein am Boden einzeln betrachten zu können - lag alle zwanzig Meter ein Apfelgehäuse am Boden. Dazwischen, in regelmässigem Abstand Apfelschalenstücke, das Fruchtfleisch sorgfältig abgekaut. Den Blick langsam gerade aus richtend sahen wir oben am Berg ein altes Hutzelmännchen seinen Drahtesel den Hügel hinauf schieben. Wir näherten uns ihm langsam aber stetig und kurz bevor wir ihn eingeholt hatten, stieg er plötzlich auf und trat kräftig in die Pedale. Doch eine kurze Zeit später verliess ihn die Kraft wieder und er schob weiter. Zu seinem Bedauern fuhren wir schliesslich an ihm vorbei, weiterhin in gemächlichem Tempo. Doch da, kurz vor dem höchsten Punkt schoss der Alte plötzlich an uns vorbei, laut johlend und lachend und zog davon. Was Äpfel nicht alles bewirken können. Domi konnte das natürlich nicht auf sich sitzen lassen, und die beiden lieferten sich ein echtes Wettfahren. Männer! Bei der Talabfahrt waren wir mit unserem Gewicht deutlich im Vorteil und brausten ihm mit einem "Dovidjenja" davon. 
An blühenden Kirschbäumen vorbei fuhren wir Richtung Belgrad, als wir plötzlich von zwei deutschen Mädels auf dem Reisevelo in eiligem Tempo überholt wurden. Wie wir später erfuhren, waren sie ebenfalls auf dem Donauradweg unterwegs von Budapest nach Belgrad. Die Stadteinfahrt nach Belgrad war dann alles andere als erholsam. Die Strasse führte durch dichtes Industriegebiet mit farbigen Rauchfahnen, die weniger gesund aussahen. Die Blechlawine neben uns trug das Ihrige dazu bei und der schlechte Strassenbelag erschwerte das Fahren zusätzlich. Das letzte Stück ins Zentrum mussten wir unser Velo gar auf dem Trottoir schieben, denn die Autos donnerten auf einer mehrspurigen Strasse nur so an uns vorbei. 
Am Abend schauten wir uns noch kurz die Stadt an, assen einen Salat (wirklich! aber er war riesig) und verzogen uns in unser Hostel, wo wir die erste Kakerlake verbuchen konnten. Der Weg, der uns am nächsten Morgen aus Belgrad hinausführte verleidete uns etwas kommende Stadtbesichtigungen. Wir freuten uns, als wir endlich wieder auf einem Damm am Wasser entlang fahren durften. Hier und nicht auf dem Asphalt war es aber, wo wir unseren ersten Unfall bzw, Umfall hatten. Domi, hinter mir fahrend, wurde von zwei laut bellenden Hirtenhunden gleichzeitig attackiert. 
Als er ihnen eins mit der um sich schwingenden Fahrradpumpe überzog (die zweite Option, wenn Wasserspritzer aus der Trinkflasche nichts mehr nützen), verlor er kurz das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Die Hunde hatten offenbar erreicht, was sie wollten, denn sofort machten sie kehrt und rannten zurück zur Hirtin, die keine Anstalten gemacht hatte, ihre Wächter etwas früher zurückzupfeifen. Domi war zum Glück nichts passiert und die Pumpe liess sich auch wieder gerade biegen. So kennen wir nun auch die dritte Option, wie man sich vor wilden Hunden wehren kann. Als wir kurze Zeit später in einem kleinen Örtchen Rast machten, tauchten plötzlich zwei Tourenfahrer auf. Sie entdeckten uns sofort und fuhren zu uns hin. Dem Gepäck entsprechend schienen auch sie auf einer längeren Reise zu sein. Ein paar Worte später war klar: Marianne und Tobias aus der Ostschweiz waren zwei Wochen nach uns in der Schweiz abgefahren und auf dem Weg nach China. Gefunden haben sie uns dank Tobias´ pfadfinderischem Talent. 
Auf dem Damm hatte er unsere Spuren eindeutig als Schwalbe Marathon Reifen identifiziert. In der Überzeugung, dass diese nur von Langstreckenradlern stammen konnten (allerdings mit falsch herum montierten Reifen...) verfolgten die Beiden unsere Spuren erfolgreich weiter bis zu uns. Wir haben uns auf Anhieb super verstanden und es machte riesig Freude, gegenseitig Erfahrungen auszutauschen, sei es über die Vorbereitung, die Ausrüstung oder Erlebtes auf der Reise. Nach dem Zmittag fuhren wir gemeinsam weiter. Die Serben machten nun doppelt so grosse Augen, als sie unseren Velokonvoi vorbeifahren sahen. Irgendwann war klar, dass wir uns gemeinsam einen Zeltplatz suchen wollten, die Gesprächsthemen waren schliesslich noch lange nicht ausgeschöpft. 
So fanden wir, zwar auf recht offenem Gelände, doch zu viert fühlt man sich gleich viel sicherer, ein schönes Plätzchen an einem Nebenkanal der Donau. Wir freuten uns auch über unsere Nachbarn, serbische Fischer, die am anderen Ufer am Steilhang ebenfalls ihr Zelt auspackten. Alles war perfekt, nur das Feierabendbierchen fehlte. Anderntags fuhren wir gemeinsam los, überquerten die Donau bei Stara Falanka mit der Fähre, und nahmen eine der schönsten Strecken des Donauradwegs in Angriff. Vorbei an der mittelalterlichen Festung in Golubac, immer weiter durch den Djerdap Nationalpark, Richtung Eisernes Tor, der am schwersten passierbaren Stelle der Donau. Gegen Abend zogen dann zunehmend Wolken auf, und wir mussten uns langsam aber sicher einen Zeltplatz suchen. Die letzte Gelegenheit in einem der seltenen Ortschaften Wasser zu tanken hatten wir irgendwie verpasst, abgelenkt durch den Fahrtwind und die schöne Landschaft um uns herum. 
Auf unserer Karte war in wenigen Kilometern Entfernung ein Museum eingezeichnet, wo wir uns einen fliessenden Wasserhahn erhofften, da wir unseren Wasserfilter lieber noch bis Zentralasien schonen wollten. Bei der Museumsanlage hatte es ein kleines Bistro, wo wir uns zuerst einmal ein Cöggeli gönnten. Eigentlich waren wir alle zu müde um noch weiter zu fahren, und so kam uns die Idee, die Servierdame zu fragen, ob wir auf dem Grundstück unser Zelt aufschlagen durften. Sie verwies uns an den Security des Museums - ein älterer Serbe, der kein Wörtchen Englisch oder Deutsch oder irgend eine andere Sprache als Serbisch sprach. 
Unser Anliegen konnten wir ihm dann trotzdem irgendwie klar machen, und er liess uns auf dem Grundstück übernachten, wo wir von Rex und seiner Gefährtin bewacht wurden. Der Security lud uns dann noch auf einen Kaffee ein. Als Tobias ihm mit Händen und Füssen mitteilte, dass wir uns erst etwas waschen wollten und dann sehr gerne einen Kaffee nehmen würden, hat er dies zu unserem Entzücken missverstanden und uns auch noch seine warme Dusche zur Verfügung gestellt. Glücklich und sauber kochten wir uns dann am Holztisch einen Risotto. 
Der Regen kam nachdem der letzte Reissverschluss zu war. Am nächsten Morgen mussten wir etwas früher aus den Federn, denn bis 8 Uhr sollten die Zelte weggeräumt sein. Sonst "Probljema", meinte der Serbe. Trotzdem wurden wir von ihm nochmals zu einem Kaffee eingeladen. Die Konversation stellte sich dann irgendwann ein, als er uns auf unsere Frage nach dem Wetter mit "Da drüben liegt Rumänien" und "die Donau fliesst ins Schwarze Meer" auf Serbisch antwortete. Unsere paar Brocken Russisch haben nicht wirklich geholfen. Unterwegs merkten wir dann sehr bald, dass das Wetter auch nicht so recht wusste, was es eigentlich wollte. Zig-mal Regenjacke aus- und anziehen war die Devise. 
Unterwegs kreuzten wir noch zwei andere Schweizer Radwanderer, auf dem Weg von Zürich nach Luzern. Kurz bevor die Sonne unterging erreichten wir einen geschlossenen Zeltplatz direkt an der Donau in Brca Palanka. Der benachbarte Restaurantbesitzer "erlaubte" es uns trotzdem auf dem Areal zu campieren, und wir durften sogar seine Toilette benutzen. Leider hatten wir dann am Morgen etwas zu lange getrödelt, so dass uns der Campingbesitzer noch antraf um die Gebühr einzukassieren. "In ten minutes water!" Dies kam leider auch 12 Stunden zu spät, sowie der Schlüssel zur Dusche und Toilette. Wir waren etwas verärgert, dem Falschen unser Geld geben zu müssen. 
So fuhren wir schliesslich los, Richtung bulgarische Grenze, wo Domis GPS automatisch eine Stunde nach vorne schaltete - wir hatten die erste Zeitzonengrenze überquert! In Bulgarien waren die Leute nicht weniger freundlich und offen als in Serbien, und dass Russischkenntnisse hier von Vorteil sind machte sich rasch bemerkbar. Wo in Serbien noch alles in lateinischer und kyrillischer Schrift angeschrieben war, fand man hier nur noch kyrillische Buchstaben. Auch mit der alten Frau im ersten Dörfchen konnten wir ein kleines "Gespräch" führen, denn einzelne Wörter konnten wir verstehen. Obwohl sie erst die Nase rümpfte, als wir ihr sagten, dass wir etwas Russisch sprechen könnten, gab sie dann zu, dass Bulgarisch dem Russischen doch sehr ähnlich sei. Der erste Abschnitt in Bulgarien war sehr eindrücklich, die Landschaft viel grüner als vorher in Serbien, die Bäume blühten überall, der Frühling zeigte sich in seiner vollen Pracht. Kein Wunder - hier ist ja auch eine Stunde länger hell, oder?...