Samstag, 3. November 2012

Achterbahn in Yunnan

Der Jadedrachenschneeberg

Na ja, natürlich war es nicht gaaanz zufällig, dass wir Tobias und Marianne in Lìjiāng wieder getroffen haben: Wir haben uns je eine Chinesische SIM Card zugelegt und die wird noch vor Verlassen der Chinesischen Volksrepublik vertelefoniert. Nach einem gemütlichen Znacht in der Altstadt mussten die Beiden leider anderntags schon wieder weiterziehen, um in Kūnmíng neue Visa zu organisieren. 

Lijiang by Night
Wir blieben noch zwei Tage in der touristischen Hochburg hängen, wo wir es uns fast lieber im Hotelzimmer gemütlich gemacht haben, als uns durch die abartige Menge von meist chinesischen Touristen zu drängeln, um über die alten Ziegeldächer hinweg einen Blick auf den Jadedrachen Schneeberg zu erhaschen. Die Wand an Wand stehenden Steinhäuser der UNESCO anerkannten Altstadt mit den schmucken Steinbrücklein, welche die gepflasterten Gassen über das Geflecht der Wasserversorgungskanäle miteinander verbinden, lassen einen zwar erahnen, wie es hier vor nicht allzu langer Zeit ausgesehen haben könnte, doch wird die Vorstellungskraft stark eingeschränkt durch unzählige und immer gleiche Souvenir-und Handwerksläden, die jährlich Millionen von Touristen durch ihre Türen locken. 

wir schossen das Foto um 7:00
früh - und 10 andere Fotografen ebenfalls...
Wir besuchten deshalb (dank Tobias und Marianne´s Altstadteintrittstickets für 80 Yuan - UNESCO? Hallo?) nur noch den Park des schwarzen Drachensees, um das obligate Foto des 5000ers am Horizont zu schiessen und wandten uns dann unseren Alltagspflichten zu - ja, genau, richtig gelesen - auch wir haben einen Alltag! Wir erleben unsagbar vieles auf unserer Radreise, und alles will dokumentiert werden. Während unseren "Ruhetagen" gönnen wir jeweils unserer Beinmuskulatur die nötige Erholung, doch der Rest von uns arbeitet hart: Unsere Erlebnisse aufzuschreiben und zu recherchieren, sowie die Fotos zu erlesen und zu überarbeiten dauert meist mehr als einen ganzen Tag. Dann sind wir auch ziemliche Schmutzfinken geworden: Fahrradbekleidung wird der Einfachheit und Bequemheit halber gleich an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen getragen, denn waschen müssen wir meistens von Hand. Und es erfordert mehrere "Waschgänge" um unsere vom Strassenstaub und -schlamm verschmutzten Klamotten so was wie sauber zu kriegen. Mittlerweile habe ich mich auch an den rezenten Geruch gewöhnt, der in Schwaden daher kommt, wenn ich Domi hinterher fahre. 

Ein ganz normaler "Ruhetag"
Einige fragen sich auch, wie wir das mit der Kommunikation machen - die Leute, die wir unterwegs treffen, werden immer exotischer und sprechen von Tag zu Tag fremdländischer. Während ich mich aufs Lernen der Sprache konzentriere, wurde Domi unterwegs zum Meister der Pantomime - Activity Spieler nehmt euch in Acht - a Champion will return! Während Domi also "learning by doing" bevorzugt, hat sich wohl schon manch ein Chinese gewundert, wenn aus dem Hotelzimmer der lăowài (Ausländer) sinnlose chinesische (?) Sätze formuliert werden, gefolgt von einem ablehnenden "Dingdong" des Computers, die gleichen Sätze dann immer lauter wiederholt werden und schliesslich in ein lautes Gefluche in einer für sie unverständlichen, kehligen Sprache übergehen, weil die nǚrén (Frau) zum x-ten Mal die Betonung nicht richtig hingekriegt hat.

wer Chinesisch lernen will, sollte
besser früh damit beginnen

Wasserkochen für Fortgeschrittene
Auch die weitere Strecke zu planen gehört zu den Aufgaben an unseren Ruhetagen. Dies nimmt meistens mehrere Stunden in Anspruch, mit oftmals zeitaufwändigen Recherchen im Internet und Lesen von anderen Reiseberichten, denn mehrere Faktoren müssen gleichzeitig berücksichtigt werden, wie z.B. das Höhenprofil, der Strassenzustand, interessante Sehenswürdigkeiten und nicht zuletzt die verbleibenden Tage des Visums. Dazwischen erholen wir uns aber auch von Erlebtem und den vielen Eindrücken (irgendwann wird jeder Geist müde) beim Schlafen, Lesen, Kartenspielen oder Filme schauen. Unser momentaner Favorit ist aber CCTV News - ein äusserst unkritischer Chinesischer Fernsehsender für Englischsprachige, der täglich über "the everchanging China in the decade of change" berichtet und dabei wenig subtile pro-chinesische Aussagen am Laufmeter sendet. Berichte über die Rolle Japans beim Diaoyu-Islands (chinesischer Name der Senkaku-Inseln) Konflikt oder über "Taiwan and the Mainland" sind besonders interessant. Nach unseren Ruhetagen nehmen wir dann jeweils frisch und erholt die neue Etappe in Angriff, wieder bereit Neues zu erleben. So auch diesmal.



Auch noch nach 6 Jahren immer
wieder bereit neues zu erleben
(wir feierten im Pizza Hut...)

Emsige Bienchen
Lange haben wir überlegt, ob wir noch einmal einen Schwenker ins tibetische Hochland machen sollten, haben uns aber dann doch für die Reisterrassen im Südosten Yúnnáns entschieden - für beides blieb uns aufgrund des Visums keine Zeit. Da auch wir wieder einmal Kilometer spulen wollten, einfach um zu sehen, ob wir das überhaupt noch können, fuhren wir am ersten Tag gleich ins 130 km weit entfernte Städtchen Jiangwei. Und damit es etwas schneller ging, nahmen wir die Autobahn... Die Gebühr wurde uns dann zum Glück erlassen. In einem muslimischen Restaurant assen wir dann mal etwas anderes als Schweinefleisch und sanken müde in unsere brettharten chinesischen Betten (es kommt schon ab und zu vor, dass uns morgens die Glieder mehr schmerzen als abends, nach einer anstrengenden Tagesetappe. Wir können uns echt nicht erklären, weshalb sich die Chinesen die Mühe einer Matratze machen - könnten sie doch ebenso einfach am Boden schlafen - es käme praktisch aufs Gleiche raus). 

Drei Pagoden vor Dali
Am darauffolgenden Tag fuhren wir nur 30 km weiter, ins nächste von Lonely Planet (der Bibel aller Individualtouristen) empfohlene, sehenswerte Städtchen Dàlĭ und genossen den "freien" Nachmittag beim Altstadtbummel. Hier war das Touristen/Lokalbevölkerung Verhältnis bereits erträglicher. Doch am besten gefiel es uns dann am nächsten Tag in Wēishān. Obwohl das von Yi und Hui (chinesische Muslime) bevölkerte Städtchen ebenfalls in der "Bibel" erwähnt wird, hatten wir das Gefühl, die ersten westlichen Touristen zu sein, die die Leute hier zu Gesicht bekamen. Sofort stellte sich wieder "Popstar-Status" ein und wir fühlten uns wohl. 



Reis-...
...Mais-...
Obwohl manchmal auch anstrengend, geniessen wir es schon ein bisschen, dass uns oft zweimal hinterher geschaut wird, Autos und Motorräder uns manchmal verdächtig langsam überholen oder wir mitten in der Fahrt angehalten werden, damit ein paar junge Chinesen von und mit uns ein Foto schiessen können. Wir werden nicht müde, den Chinesen auf ihr fröhliches "Hellöu" mit einem "Hellöu" unsererseits zu antworten und finden es noch immer amüsant, wenn spätnachmittags, bei unserer Ankunft in irgendeinem Hotel in irgendeinem Kaff, dem Manager erst mal die Kinnlade runter klappt und er dann erst auf unser nĭ hăo reagiert. 

...und Nudelernte
In Wēishān hatten wir ein so tolles Hotel und das Städtchen gefiel uns so gut, dass wir spontan beschlossen, einen richtigen Ruhetag einzulegen. Einfach mal den ganzen Tag - nichts tun! Na ja, wir sind trotzdem durch die Gassen geschlendert, haben gut gegessen, Proviant gekauft und hier und da ein Foto geschossen. Es macht ja auch Spass!

Yi Frau mit traditioneller
Bekleidung

Yi beim Tanzen in Weishan





Hoch, runter, hoch, runter
Bambusbong
Am nächsten Tag schwangen wir uns wie gewohnt wieder in die Sättel, schliesslich wollten wir zu den Reisterrassen. Doch bei der letzten Routenplanung ging uns irgendwie das Höhenprofil durch die Lappen. Vor uns lag da plötzlich eine einzige Zickzacklinie - hoch, runter, hoch, runter - mit Abfahrten und Aufstiegen über 2000 Höhenmeter. Doch nun war es zu spät - die Abzweigung, die direkt nach Laos geführt hätte, lag bereits hinter uns, es gab kein Zurück mehr. Doch mittlerweile habe sogar ich mich an die langen Aufstiege gewöhnt und kann ihnen sogar einiges positives abgewinnen: Hat man erst einmal den richtigen Rhythmus gefunden, geht´s einfach stundenlang im gleichen Tempo den Berg hinauf, während man die wunderbare Aussicht geniessen kann. Die Strassen sind zum Glück in gutem Zustand und der Verkehr hielt sich bisher sehr in Grenzen. So fahren wir bergauf und bergab und sind immer wieder gespannt, was uns wohl im nächsten Tal erwartet. 



Begutachten der Baumnussernte
Hellöu












das alte China
Genau wie sich die Vegetation von Tal zu Tal verändert (wir sind mittlerweile ein gutes Stück in den Süden gefahren - da ändert sich einiges!), tun es auch die Leute. Mal sind sie freundlich, grüssen und geben sich interessiert, mal kümmert es sie nicht die Bohne, dass zwei Westler vor ihrer Haustür auf einem Fahrrad vorbeistrampeln - als ob dies zur Tagesordnung gehören würde. Vielleicht haben sie aber auch einfach andere Sorgen. Nur zu oft fuhren wir an schäbigen Holzhütten vorbei und mussten mit Schrecken feststellen, dass da noch jemand wohnt. Hungernden Landstreichern und verkrüppelten Menschen begegneten wir nicht selten - oft nur einige Kilometer weit entfernt von den touristischen Städtchen, die das "alte China" künstlich aufrecht zu erhalten versuchen. 


Bananenblüte
Zuckerrohrplantagen
Drachenfrucht-Kakteen
(Predator lässt grüssen)




Doch dann fuhren wir wieder durch breite, landwirtschaftlich (aus-) genutzte Ebenen, die der Bevölkerung guten Ertrag zu liefern schienen. Hier werden Bananen angebaut, dort Seidenraupen gezüchtet, bald fuhren wir entlang von riesigen Zuckerrohrfeldern, bald entlang sorgsam gehegter Drachenfrucht-Kakteen, deren Früchte man zu Weihnachten bei uns in der Migros kaufen kann. Alle paar Tage führte uns unsere Route auch in eine grössere Stadt, wie Zhenyuan. Diesmal fiel uns als erstes die Kinnlade runter: Dass die Chinesen gerne bauen, haben wir unterdessen mitgekriegt, doch was wir hier sahen übertraf alles. Während Schweizer Städte ab und zu ein neues Wohnquartier kriegen, erhielt Zhenyuan gleich eine neue Nachbarsstadt. Wohnblöcke und Parkanlagen waren gleichermassen errichtet worden wie Shopping Malls und vielspurige Strassen. Alles war bereit - nur die Leute fehlten. 
Coiffeursalons waren noch leer, Einkaufsregale standen bereit, um mit Chinesischen Produkten gefüllt zu werden, und Hotels warteten auf ihr Personal und die Gäste. Der Anblick dieser riesigen Retortenstadt war ziemlich unheimlich. Wir folgten den allgegenwärtigen Elektroscootern ins alte Zhenyuan, wo wir uns in einem belebteren Stadtteil ein günstiges Hotel nahmen - ohne Strom. "Von acht Uhr abends bis sieben Uhr morgens gibt´s Strom" war die erklärende Antwort des Managers. Bald einmal wurde uns bewusst - dies galt nicht nur für unser Hotel - dies galt für die ganze Stadt! Und so genossen wir unser Chinesisches Dinner zur Abwechslung mal nicht bei grellem Neonlicht, sondern bei romantischem Kerzenschein.


Wenn in China ein Schmetterling
mit den Flügeln schlägt...
Yunnan - Süden der Wolken


der Nebel lichtet sich
Bambus ist im Fall ein Gras!
Ehe die Sonne uns wieder zum Schwitzen bringen kann, muss sie, wie hier immer um diese Jahreszeit, erst den morgendlichen, dichten Nebel verdrängen, und so nahmen wir denn auch diesmal den nächsten Berg in Angriff inmitten einer grauen Suppe. Die Umrisse der meterlangen Bambushalme über uns erschienen wie riesige, bucklige Greise, die sich gegenseitig den neuesten Klatsch und Tratsch erzählen wollten. So zwischen zehn und elf Uhr lichtet sich jeweils der Nebel und eine neue Landschaft präsentiert sich uns. 

neue Landschaft

erste Terrassen
Wir waren völlig begeistert, als wir die ersten Terrassen entdeckten. Doch um die "echten" Reisterrassen von Yuányáng zu bewundern, müssen wir uns noch ein wenig gedulden. Meine Beine schrien nach einem "Ruhetag"...







Bis dahin ein Rätsel, das wir erst lösen können, sobald wir einen kundigen, englischsprechenden Chinesen gefunden haben - oder ihr uns auf die Sprünge geholfen habt:
Eine milchig-trübe Flüssigkeit wird in flache Becken geschüttet, die von einem Kohleofen eingeheizt werden. Nach einer Weile fischt der Mann eine Schicht aus dem Becken und hängt diese zum Trocknen auf. Was ist es, was der gute Mann hier herstellt?

Was tut er bloss?






5 Kommentare:

  1. Hallo Janine und Dominik,
    Eure China-Erfahrungen (mehrdeutig) sind begeisternd. Zum letzten Bild: Ich glaube, da werden Reis-Papier-Blätter hergestellt, wie sie zum Einwickeln von "Flülingslollen" verwendet werden.
    Liebe Grüsse aus Ostermundigen, wo gerade der letzte Schnee geschmolzen ist - Ueli und Elisabeth

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  2. Hellöös zämä,

    interessant, d chinese sägä hellöu? die meine sicher hellöös. cha ja nid so. schön, dass Dir mau ä "hinter die kulissen" bricht gschribä heit. und gratulation zude 6 jahr - freut mi! zur frag: dä macht entweder t-shirts für h&m oder was no fasch wahrschnlicher isch, är schaffät verbotenerwiis aus zulifererbetrieb vo foxconn und macht platine für ds iphone.
    liäbä gruäss und au lait
    chrigu

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  3. Hallo Zäme,

    Die Bilder vo Lijiang lönd alti Erinnerige wach werde. Ha in Ninglang mal ganz gediegeni Chilli Chuchi gha. An dr Frobe hett sich öppis schöns ereignet - mir hei e neui Mitbewohnerin.
    D´Emma Louise isch churz vor Mitternacht am 1. Novämber ufd Wält cho.

    Mir freue uns uf wyteri Reisebricht und natürlich au uf Euri Rückkehr ;-)

    E liebe Gruess vo Deheim,
    Björn mit Denise & Emma L.

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  4. Hallo ihr beiden!

    Euer Blog ist wirklich spannend und weckt immer wieder mein Fernweh ...
    Also, die Chinesen in meinem Labor meinen, dass der Mann im Bild "Tofu Skin" herstellt (s. http://en.wikipedia.org/wiki/Tofu_skin).
    Liebe Grüsse und weiterhin gute Reise!

    Mätthu W.

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