Freitag, 20. Juli 2012

Usbekistan - Montezuma wütet doch in Südamerika?

Bukhara
money, money, money...
Bukhara

Bukhara
lag es daran...
In Bukhara hatten wir uns genügend Zeit genommen, unsere Batterien (psychische und physische) wieder aufzutanken, uns ans masslose usbekische Feilschen und ans mühselige Geldzählen zu gewöhnen, und um uns Gedanken zu machen, wie wir möglichst rasch der kaum erträglichen Hitze Zentralasiens entkommen konnten. Unser Tadschikisches Visum würde erst in drei Wochen beginnen, so weit war es nun aber auch nicht bis zur Grenze hinter der die rettenden Berge lagen...


auf dem Weg nach Samarkand
...oder daran?
Während Ruedi und Fabienne Jurten-Camp und Eseltrekking machten, entschlossen wir uns, per öffentlichem Verkehr 800 km nach Tashkent zu fahren (unser mitteleuropäisches Distanzgefühl hatte sich schon seit längerem verabschiedet), um unser Visaproblem dort mit dem Tadschikischen Konsul zu besprechen. Da das Wochenende nahte, und wir von Usbekistan noch nicht so viel gesehen hatten, bauten wir einen touristischen Zwischenstopp in Samarkand ein. In der Stadt Timurs des Lahmen (ein blutrünstiger Tyrann wie Dschingis Khan, nur weniger bekannt, obwohl seine Metzeleien mindestens ebenso grausam waren wie die seines mongolischen Vorgängers) liessen wir uns im wunderschönen Bed & Breakfast Antica nieder. 

Aprikosen aus dem Garten
Beim Maulbeeren pflücken
Baumwolle - Freud und Leid
Ein wahrlich antikes Zimmer mit Blick auf den mit bunten Blumen und üppigen Sträuchern geschmückten Innenhof, wo hellblau gestrichene Holzbänke unter Apfel-, Aprikosen- und Maulbeerbäumen bereitstanden, um sich darauf auszuruhen, und wo uns jeden Morgen eine reichhaltige Frühstückstafel unter dem schattenspendenden Laub von Kirsch- und Zwetschgenbäumen serviert wurde - wir fühlten uns gleichzeitig im Paradies und in einer Abbildung im Hausfrauenheftchen "Mein schöner Garten". Die vielköpfige usbekische Gastfamilie lebt hier gemeinsam mit ausländischen Touristen unter einem Dach, bzw. in diesem märchenhaften Innenhof. Wir liessen einmal mehr unsere Seele baumeln und beneideten das rüstige Grossmütterchen und das senile Grossväterchen im "Bueno Vista Social Club - Look", die hier an diesem friedlichen Ort im Schoss ihrer Familie alt werden durften. Hier trafen wir auch auf Esther und Christof, zwei weitere Schweizer Velofahrer (ja, auch von anderen Quellen haben wir erfahren, dass dieses Jahr besonders viele Schweizer mit dem Rad nach China unterwegs seien...) und tauschten Radfahrererfahrungen aus. Auch Tobias und Marianne haben wir wieder getroffen, allerdings nicht im besten gesundheitlichen Zustand. Überhaupt schien Usbekistan ausnahmslos alle Radfahrer früher oder später an den Porzellanthron (oder besser gesagt ans Erdloch - über die diversen "toilets from hell" werde ich hier aufgrund mangelnder Adjektive nicht weiter berichten) zu fesseln. Klar, fliessendes Wasser gab es in der Wüste kaum, aber dass es hier gleich jeden erwischt, damit hätten wir nicht gerechnet. Doch Esther und Christof hatten hierzu eine äusserst interessante Theorie: Die Usbekische Küche bedient sich offenbar nicht allzu selten des fetten Öls der Baumwollsamen, welches, wenn nicht entsprechend prozessiert, ausreichend grosse Mengen des toxischen Gossypols enthält, um beim Menschen Durchfall auszulösen (an die Kollegen des Instituts für pharmazeutische Biologie in Basel - gibt´s da ein Paper dazu?). 

Samarkand - Registan

Samarkand - Registan
Samarkand - Registan

Shah-i-Zinda
Türschnitzerei
Schneiderin


Wie auch immer, nach fünf Tagen Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und zunehmender Müdigkeit entschieden wir uns doch für eine Antibiotika-Kur (Ciprofloxacin gibt´s hier übrigens ohne Rezept und Beratung in jeder beliebigen Blister-Menge) und siehe da, kaum entfaltete die erste Tablette ihre Wirkung, waren wir wieder voll parat. So besuchten wir die historischen Stätten Samarkands, die von Viktor, dem verrückten Spanier (in fünf Tagen von Mashhad, wo wir ihn zum ersten Mal getroffen hatten, fuhr er durch die sengende Hitze Turkmenistans nach Bukhara - das sagt alles), treffenderweise als Disneyland bezeichnet wurden. Für das 25-fache (umgerechnet Sfr 6.50) des Preises den Usbeken bezahlen, erhielten wir einen Eintritt ins Registan - drei majestätische Mädressen, die als die ältesten noch erhaltenen (jedoch komplett renoviert) der Welt gelten. Wo früher Mathematik, Theologie, Astronomie und Philosophie gelehrt wurde, werden heute Souvenirs und Kunstgegenstände verkauft. Die Atmosphäre im Shah-i-Zinda, einer Gasse gesäumt von zahlreichen Mausoleen, wo der Cousin des Propheten Mohammeds, sowie Timur, seine Familie und seine Liebsten begraben liegen, war hingegen viel authentischer. 


Samarkand - Registan

Nach zwei Tagen Sightseeing erinnerten wir uns jedoch wieder an unser ursprüngliches Vorhaben und nahmen ein Taxi nach Tashkent, wo wir uns im Bahnhofshotel niederliessen. Auf dem hiesigen Basar füllten wir unsere Taschen und Mägen mit hausgemachtem Brot und frischen Früchten bevor wir uns zur Tadschikischen Botschaft aufmachten. Dort herrschte ein furchtbares Gedränge vor dem vergitterten Eingangstor. Wir quetschten uns zwischen geblümte Röcke und Hutzelmännchen in Filzhüten und warteten geduldig, bis wir vom Botschaftsangestellten aus der Menge gefischt wurden. Nachdem wir dem Konsul unser Problem geschildert hatten, und nachträglich das Ganze noch schwarz auf weiss dokumentiert hatten, hiess es um sechs Uhr abends wieder anzutraben. Ob wir das Visum dann erhalten würden, fragten wir ihn noch, und erhielten die typische Antwort: "Moshet biht, ili moshet nje biht" -  Vielleicht, vielleicht auch nicht. 

Hotel Uzbekistan in Tashkent

Basar in Tashkent
Basar in Tashkent









Einige Stunden später wurden wir bereits erwartet, durchquerten wieder eine Menge Filzhüte, und liessen uns erfolgreich unser Visum abändern. Wir drückten dem sichtbar erschöpften Konsul das Geld in die Hand und ein Päckchen Karamell als Energiespender dazu, und erhielten unsere Pässe und ein dankbares Lächeln zurück. Pünktlich um 8:30 fuhr am nächsten Morgen unser Zug nach Bukhara los, wo wir ebenso pünktlich um 15:20 am Bahnhof ankamen. Wir liessen die klimatisierten Taxis (20 Dollar) unbeachtet und nahmen für je 25 Rappen ein marshrutka ins Zentrum, zurück zu unserem Hotel, wo Fabienne und Ruedi nun ihrerseits mit Magen-Darm-Verstimmung auf uns warteten. Ich machte auf der Türschwelle kehrt und holte ihnen in der nächsten Dorikhona eine Ladung Antibiotika. Das Essen hier ist Russisch-Roulette vom feinsten, und die Menge Vodka, die wir durchschnittlich trinken, reicht bei weitem nicht aus, um Bakterien abzutöten.

Usbekische Bahnarbeiter
...und wieder eine Wüste!
Durstlöscher Melone
Warentransport


















Tags darauf fuhren wir gemeinsam los in Richtung Tadschikistan. Die ersten zwei Tage führte uns die Strasse durch eine trockene Wüste in fruchtbarere Gebiete, die über und über bepflanzt waren mit Baumwollsträuchern. Die grünen Plantagen sind zwar schön fürs Auge, doch im Hinterkopf drehten sich die Gedanken ständig um den kontinuierlich austrocknenden Aralsee, dessen gesamter Wasserzufluss in tausenden von Bewässerungsanlagen hier in Zentralasien versickert, und so zum ökologischen Pulverfass wurde. Zu Sowjetzeiten von Genosse Stalin so bestimmt, wurde in dieser Region nahezu die komplette Landwirtschaft auf Baumwollanbau umgestellt. Doch was in der Sowjetunion noch funktionierte, hatte für die heutigen Staaten, insbesondere für Tadschikistan, nach dem Zusammenbruch verheerende Folgen, denn von Baumwolle kann eine Bevölkerung nicht ernährt werden. 

...und Wasser!
...endlich Berge...













Die Hitze im Usbekischen Hinterland zwang uns zu einem für uns eher ungewohnten Tagesrhythmus. Um halb fünf in der Früh aus den Federn, frühstücken und spätestens um halb sieben auf dem Sattel sein - daran konnten wir uns nicht gewöhnen. Doch regelmässig stieg das Thermometer um die Mittagszeit auf unerträgliche 45°C. Dies war dann der Zeitpunkt um uns in irgend einem Choykhona wie die toten Fliegen auf eine Matratze zu legen, und die verlorenen Stunden Schlaf, so gut es bei dieser drückenden Hitze auch ging, nachzuholen. Wir wechselten uns gegenseitig ab mit Velos bewachen, was dem obligaten betrunkenen Usbeken in den Teehäusern jeweils die Möglichkeit gab, etwas zu mit uns zu plaudern. So zwischen vier und fünf Uhr nachmittags brannte die Sonne nicht mehr direkt auf uns herab, und wir konnten unsere Etappe fortsetzen.

Steinharte Ziegenkäse-Häppchen. Wenn man
die vom Polizisten in den Mund geschoben 
kriegt, hat man verloren. Sie "aus Versehen"
aus dem Mund fallen lassen bringt auch nichts - 
das Zweite folgt sofort! Einziges Mittel:
Flucht ergreifen!!!
und hopp - alle vor die Kamera!



Proviant unterwegs

Nach zwei Tagen Wüste erwarteten uns endlich Berge und mit der Höhe hofften wir auf kühlere Temperaturen - und so war es dann auch. Beim Waschen nach Sonnenuntergang auf dem Pass Oqravot wurde es so kalt, dass ich mich danach schlotternd ins Zelt stürzte und meinen Daunenschlafsack hervorkramen musste. Doch kaum schien die Sonne am nächsten Morgen wieder über die Bergkante, bildeten sich schon wieder erste Schweissränder. Nach über 600 km Flachland in der sengenden Hitze waren wir überglücklich endlich wieder etwas Höhenmeter zu vernichten. Die Gegend in den Bergen war nur wenig besiedelt und die Landschaft gewaltig. Winkende Leute und herbeirennende Kinder traten das Ihrige dazu bei, um diesen Abschnitt zu einem der schönsten der bisherigen Strecke zu machen, und unser bisher nicht so positives Urteil über Usbekistan und seine Leute hier grundlegend zu revidieren.



Steinwüste
Und da sollen wir durch!?
Morgens um halb Zehn in Denav













Während Kinder (und Erwachsene) in Europa wohl am Fussballbildchen sammeln waren, sammelten wir in Usbekistan eifrig OVIR Registrationen. Für jede Nacht mussten wir beim Otdel Vis i Registratsii registriert werden. Dies erledigte normalerweise das Hotel für uns, doch da wir im Gegensatz zu den Hotelnächten während unseren Zeltnächten nirgends registriert waren, wurde uns angeraten, dies in einem OVIR Büro noch nachzuholen. Doch leider war es entweder zu heiss um ein OVIR Büro zu suchen oder es gab gerade kein OVIR Büro in dem Dorf, wo wir uns für die Nacht installieren wollten. Um sicher zu gehen, ob wir uns auch tatsächlich ausnahmslos registrieren müssen (gegen diese bürokratische Schikane sträubten wir uns zunehmend), fragten wir ausnahmslos an jedem Polizeiposten nach - "njenada" - nein, nein, fürs Zelten braucht´s keine Registrierung. Oder "sprashivaitje na postje" - fragt am nächsten Posten. Die typische OIga in der nächsten Gastinitsa (Hotel) meinte jedoch wieder, "da, da, nada!" - doch, doch, es braucht eine Registrierung! Nun ja, OVIR oder nicht OVIR, das war hier die Frage. So entschieden wir uns für die Variante "Pokerface und Hundeblick" und warteten an der Grenze geduldig auf die Aufforderung unsere Registrationen zu zücken. Doch die Grenzbeamten schienen sich vor allem für Heroin in unserem Gepäck zu interessieren. Keiner wollte wissen, wo wir in Usbekistan übernachtet hatten...

Abkühlung im Choykhane
Fotoshooting
An der tadschikischen Grenze mussten wir die Grenzbeamten beim Schauen einer russischen Soap-Opera unterbrechen, was den Grenzübertritt wohl einigermassen beschleunigt hatte. Nach so viel Papierkrieg in Turkmenistan und Usbekistan erkundigten wir uns bei der tadschikischen Zollkontrolle zweimal, ob wir wirklich keine Deklaration brauchten um dann später ohne Probleme nach Kirgisien auszureisen. "Njet! Dawai, Dawai!" - Nein, geht jetzt endlich! war die freundliche, aber bestimmte Reaktion der Tadschiken. Und so fuhren wir los mit 12 km/h auf Schotterpisten in Richtung Dushanbe...

...und ab auf den Pamir-Highway


8 Kommentare:

  1. Hoi züme
    es esch ou schön ond beruigend weder einisch öpis zgöhre vo öich.
    Be öis gots jez de ou i d Ferie, 2000km, aber met em Outo ond Klimaalag.
    Ech wönsche öich witerhin guet radle ond nömme so heis
    Feleiz

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  2. Hey Ihr zwöi,

    o ig läse voller spannig jede vo öine Biträg. D'Texschte si so super spannend g'schriebe, dass jede Abentürroman nume schwär cha mithaute! Ig wünsche Euch jedefaus viu Energie und aues, aues Gueti für die nächschte Kilometer und fröie mi druf baud wieder öpis vu Euch chönne z'lässe!
    Mike und ig si momentan i eher gmüetleche Ferie in Sardinie :-).

    Vili liebi Grüess, Regula

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  3. Hellöööööööööös,
    auso d Euro isch de scho äs zitli verbi - drum wird hie nüm panini-bildli gsammlet. aber vor Euro chunt mä dört wo Dir sit äuä o nid so viu mit. drum no äs paar infos zur Tour de France: Sky Dominanz Wiggins vor Froome und Nibali. Europcar sehr erfougrich: Vockler mit Bergklassement, zwo Etappe und Rolland 8. im Gesamtklassement und ei Etappe. Euphorie bi üs eher bescheide, wüu die Dütsche velöle nüm so interessiert - aber ig bi de ömu jubelnd dür ds büro gloffe ;-) am wuchäänd bini wieder mau ds wien gsi. hätt Euch auso chöne bruche - zwöi chind si no so asträngänd. itz geits aso i pamir. viu spass und au lait.
    kirgistan eifach de sägä Dir sit fän vom talant dushebeajev, de geits eifach.
    liäbä gruäss
    chrigu

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  4. Ciao guys! Guess what??? Today I received your postcard! It was such a nice surpise!Thanks a lot! And Janine, I was really impressed by your Russian! :)
    Your pictures here are wonderful! I have to admit I don't read that much of the text since it's too much German for me... But I promise to improve, it will be a good German-practice :)
    Take care!
    Elena

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  5. Hey ihr zwei.
    Danke für die Karte!!
    Ich freu mich immer über eure Reiseberichte.
    Zu Gossypol (hat sogar ein Kapitel in meiner Diss darüber!). Domi, sei froh, dass du das nicht mehr länger täglich zu essen bekommst, es wurde als Pille für den Mann entdeckt und in den 80er Jahren an tausenden Chinesen getestet, erfolgreich. Bis man merkte, dass die Fruchtbarkeit oft nicht wieder zurückkommt...
    Aber von Durchfall heisst es michts. Dannach wurde es noch als Bcl-2 Inhibitor zur Krebstherapie untersucht, aber unterdessen wohl nix mehr.
    Machts gut und weiterhin so schöne Abenteuer auf eurer Reise.
    Grüsse
    Sabine

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  6. Moin zämä,

    was muss ich da im Beitrag von Sabine lesen: ....Gossypol... Dannach wurde es noch als Bcl-2 Inhibitor zur Krebstherapie untersucht...
    Ihr seid übelst GEDOPT? SKANDAL. Sofort aus dem Rennen aussteigen ;-)
    Liäbä Gruäss
    Chrigu

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  7. Hey
    Merci für dä spannend u guetgschribnig Blog. Während mim Mueterschaftsurloub ischs ä wichtige Unterhaltigsfaktor gsi u iz chumi nümm dervo los. Dir erläbet ja Sache! D'Iiblicke i die Kulture u Länder si sehr interessant. I wünsche euch no alles Guete uf eurer Witerfahrt u freu mi scho uf Brichte vo China (de chumi de wider chli drus bi de kulturelle Missverständnis).
    Vera

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  8. Nun habe ich "Paps" H's Vorschlag auch wieder mal umgesetzt und Euren Blog gelesen. Das sind mir ja wirkliche Abenteuer, die Ihr da erlebt.
    En Gruess von Mobi Monika

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