Montag, 16. April 2012

Bulgarien..."Nein"..."Ja"...also "Nein"? Oder vielleicht doch?

Liebe Leser, vorab werde ich aufgrund allgemeinen Interesses zwei Fragen klären: 
1. Die beiden Schweizer (nicht Marianne und Tobias) die wir in Serbien angetroffen haben, sind tatsächlich auf dem Weg von Zürich nach Luzern. Sie sind im August in Zürich (ihrem damaligen Arbeitsort) losgefahren, machen jetzt eine Tour d´Europe und werden in ca. einem Jahr in Luzern (ihrem Heimatort) wieder ankommen. Sie konnten uns bereits ein paar praktische Tipps zu Bulgarien geben, woher sie uns entgegenkamen. 
2. Unsere Reifen sind NICHT falsch herum montiert. Wahrscheinlich war jene Spur die Tobias interpretierte, gerade diejenige, welche Domi durch seinen Sturz inklusive einer 180° Drehung des Vorderrades, in den Sand gedrückt hatte. So, nachdem dies also geklärt ist, unsere neusten Erlebnisse aus Bulgarien.

In Vidin war der Bär los. Wir haben es erst auch nicht geglaubt, als wir an diesem tristen Sonntagnachmittag durch die menschenleeren Strassen des bulgarischen Städtchens schlenderten und unseren Waden eine Pause gönnten. Von den wuchtigen Betonbauten aus der Sowjetzeit erdrückt, suchten wir Zuflucht in einem der zahlreichen Restaurants (ganze drei haben wir gezählt) um unseren Radlerhunger zu stillen. Und da fanden wir sie - die Einwohner Vidins (über den Daumen gepeilt etwa zwanzig Leute) hatten sich zur selben Zeit das gleiche Restaurant ausgesucht um ausgelassen bei Speis und viel Trank den Feiertag (war es orthodoxer Palmsonntag?) zu geniessen. Unsere Unterhaltung wurde durch die laute bulgarische Musik etwas erschwert, aber dafür wurden wir durch die Tanzkünste unserer Servierdame bestens entschädigt. 

Anderntags schwangen wir uns wieder auf die Räder und fuhren endlich los Richtung Berge. Nach der ewig weiten Donauebene verliessen wir nun den Euroveloweg Nr. 6. Die Donau hatte uns schöne Landschaften und noch viel schönere Zeltplätzchen beschert, doch nun war es an der Zeit mal wieder ein paar Höhenmeter zu erstrampeln. Bei wunderschönem Wetter erklommen wir also die Ausläufer des Balkangebirges und erreichten pünktlich zur Mittagspause Belogradchik mit seiner türkischen Festung und den eindrucksvollen Felsformationen. 



Mit vollem Magen genossen wir anschliessend die rasante Abfahrt. Wir merkten rasch, dass sich Bulgarien bestens eignete für längere Fahrradtouren: In regelmässigen Abständen konnten wir unsere Wasserflaschen füllen, sei es am Dorfbrunnen oder an beschilderten Quellen am Strassenrand. Die Leute, denen wir begegneten, wurden nach und nach reservierter. Vielleicht war dies wieder die Ostblockmentalität, die wir bereits in der Slowakei kennengelernt hatten? Vielleicht aber auch, weil sich die Leute hier im Balkan um viel anderes kümmern müssen, als um ein paar Schweizer Radfahrer. Die Dörfchen schienen zunehmend verlassener, die Bewohner ärmer, die Kinder verwahrloster und schmutziger. Zuweilen fuhren wir an Blechhütten vorbei, die sich nicht gross von denjenigen in afrikanischen Slums unterschieden. Kaum zu glauben, dass wir uns noch in der EU befanden. 

Hunde in Bulgarien kommen zur Welt um entweder Häuser oder eine Ziegen- oder Schafherde zu bewachen, in seltenen Fällen Radfahrer zu vertreiben, oder, falls sie das Aussetzen im Strassengraben überleben (ich war nahe daran ein paar Welpen mitzunehmen, die kläglich nach Muttermilch fiepten), nach Serbien auswandern um sich dort auf Müllhalden herumzutreiben. Das bulgarische Hundeleben endet normalerweise wieder im Strassengraben, entweder als Matschköter oder lieblos in einem Plastiksack im nächsten Gebüsch entsorgt (für Schweine kann übrigens das gleiche gelten, jedoch ohne Plastiksack - so gesehen in Serbien). 

Doch nun wieder zu den angenehmeren Dingen. Bei unserer Zeltplatzsuche wurden wir immer mutiger. Das erste Schlafplätzchen war nur ungefähr 2 Meter von der Strasse entfernt, auf einem kleinen Felspodest direkt in einer Kurve gelegen. Da sich die meisten Autofahrer auf die Kurve konzentrierten und nicht auf uns, die wir von oben herabschauen konnten, verbrachten wir die Nacht ruhig und entspannt in unseren Zelten. Die Patronenhülse am Boden sahen wir glücklicherweise erst am Morgen. Danach ging es weiter durchs Balkangebirge. In Montana kauften Tobias und Dominik Proviant ein, während Marianne und ich uns dem Sprachenlernen widmeten. Wahrscheinlich hätte es umgekehrt etwas weniger lange gedauert, denn im bulgarischen BILLA ist natürlich auch alles in kyrillisch angeschrieben. Wir assen dann höllisch scharfe chinesische Instant-Noodle-Suppe (in lateinischer Schrift beschrieben) zum Znacht, die gerade richtig war um uns bei den Minustemperaturen kräftig einzuheizen. 

Auch ohne Donau fanden wir immer wieder schöne Plätzchen am Wasser um uns nach einem anstrengenden Tag ausgiebig zu waschen und zu erholen. Beim zweiten Zeltplätzchen stand bereits ein Tischchen für uns bereit (die Bierflaschen sind übrigens nur in Bulgarien ausreichend gross um auch durstige Radlerkehlen angemessen zu kühlen), und beim dritten Plätzchen liess sich Domi sogar zu einem Sprung ins kalte Nass überreden (was man mit einem Freibier nicht alles erreichen kann). Die Einkaufsprozedur wurde zunehmend interessanter. In Roman erhofften wir uns wiederum einen BILLA oder LIDL, fanden aber nur einen kleinen Minimarket vor, wo man folgendermassen einkauft: Man stellt sich hinten an, und wartet, bis man an der Reihe ist einer der beiden Verkäuferinnen die gewünschten Artikel zu nennen, welche diese dann aus dem Gestell hinter ihr hervorholt. Hier hilft eine gute Brille, um bis hinter die Ladentheke kyrillische Schriftzeichen entziffern zu können, ein gutes Gedächtnis, um während dem Anstehen nichts wieder zu vergessen was man kaufen wollte (denn sonst wartet man noch einmal eine Runde), und vor allem eine gute Konzentrationsfähigkeit, um bei einem "Nein, dies will ich nicht" nicht den Kopf zu schütteln, denn sonst landet auch dieser Artikel an der Kasse. Wir haben es während den sieben Tagen in Bulgarien geübt und geübt, doch wie die Bulgaren für "Ja" den Kopf zu schütteln anstelle zu nicken, fiel uns bis am Ende schwer und sorgte immer wieder für Missverständnisse. So waren Marianne und ich auch eher belustigt als enttäuscht, als uns Tobias und Dominik zur Zwischenmahlzeit ein Fleisch-Pommes Frites-Sandwich brachten, obwohl wir eher auf etwas leichtes, vegetarisches gehofft hatten. Dabei hatten die beiden doch so oft aufs Gemüse gezeigt und bei den Fritten vehement den Kopf geschüttelt... 

Im Nachhinein konnten wir die Extra-Kalorien aber gut gebrauchen, denn unser erster richtiger Pass wartete (Marianne und Tobias hatten schon etwas geübt am Arlberg). Auf 1525 m.ü.M. führte uns eine schlechte Asphaltstrasse, die glücklicherweise vom Schnee befreit worden war, und uns immer wieder einen Blick über das Balkangebirge ermöglichte. Das Wetter spielte leider nicht den ganzen Tag mit und wir mussten während der Bergfahrt etliche Male Pause machen um Regenbekleidung aus- und wieder anzuziehen oder den heftigen Regenschauer an uns vorbeiziehen zu lassen. Mir kamen die Pausen jeweils sehr gelegen, denn ich hatte nach der Donauebene immer noch meine Mühe mit Steigungen, die 5% überstiegen. 

Doch die Mühe wurde belohnt mit einer wunderschönen Abfahrt auf einer perfekt asphaltierten Strasse und einer Übernachtung in einem herzigen kleinen Antikhotel in Karlovo mit Internet. Dies gab Domi die Gelegenheit uns für den nächsten Tag eine Route aufs GPS zu laden, welche uns etwas abseits der grossen Strassen weiter in Richtung Türkei führen sollte. Wie ein ortskundiger Tourenguide führte er uns dann auf ruhigen Seitensträsschen immer weiter in die Pampa Bulgariens. 

Die Strässchen wurden ruhiger und verlassener, der glatte Asphalt wurde von Schlaglöchern abgelöst, die Schlaglöcher schliesslich von Schotter, der Schotter von Sand und da am Tag davor auch hier ein Gewitter übers Land fegte, der Sand von Schlamm. Doch das war nur kurz problematisch, denn bald schon lief das Wasser wieder bestens ab, bei einer Steigung von mindestens 5%. Als wir den höchsten Punkt endlich erreicht hatten, um kurz durchzuatmen, wurde uns (vor allem Marianne und mir) ein Boxenstopp bei der nächsten Gelateria versprochen und ebenfalls eine Pause im nächsten Hotel mit Spa, Whirlpool und Caipirinha Bar. 
Ich konnte es kaum erwarten in dieser Oase anzukommen und stieg gleich wieder in die Pedale. Die erfrischenden Gelati und einen eisgekühlten Caipirinha vor Augen achtete ich wohl etwas zu wenig auf den Weg und geriet etwas neben die Spur auf eine Sandfläche, wo ich offenbar kurz das Gleichgewicht verlor. Ich suchte mir also eine passende Möglichkeit am Wegesrand, lenkte geistesgegenwärtig und geschmeidig mein Fahrrad vom Weg und glitt sanft zu Boden wo ich mein Fahrrad und mich auf das weiche Laub bettete und aus meinem Traum von Whirlpools und Cocktailbars erwachte. 

Am Abend fanden wir dann wieder ein lauschiges Zeltplätzchen, das gleichzeitig von geschätzten 10´000 kleinen und grossen bis riesigen Zecken bewohnt wurde. Den Balkan langsam hinter uns lassend fuhren wir am nächsten Tag weiter bis nahe an die bulgarisch-türkische Grenze, vorbei an verlassenen Dörfchen und 1-PS-Fuhrwerken mit braungebrannten Feldarbeitern. In Biser genossen wir den letzten bulgarischen Abend in einem englisch geführten Campingplatz mit warmer Dusche, Toilette, Schweinshals, Pasta und bulgarischem Wein. Erholt und gut genährt machten wir uns auf den Weg in die Türkei wo man uns nach ca. 10 Passkontrollen endlich einreisen liess. In Edirne nahmen wir uns ein Hotel und genossen unseren letzten gemeinsamen Tag mit Marianne und Tobias. Die beiden haben in zwei Tagen einen Termin in Istanbul und müssen noch 230 km zurücklegen. Domi und ich gönnen uns hier eine Pause bei Leberli, Baklava und Moscheen. Inschallah!




4 Kommentare:

  1. Tschou zäme

    Wieder einmal super Fotos! Vor allem das Bild "Janine auf Abwegen" gefällt mir besonders.
    Hier (falls ihr mal Zeit findet) ein Link mit der Erklärung, wieso in den meisten Kulturen für ein Ja genickt und für ein Nein gekopfschüttelt wird. Leider steht nicht, wieso das in Bulgarien gerade umgekehrt ist. Trotzdem amüsant.
    http://www.rp-online.de/wissen/leben/warum-nicken-wir-um-ja-zu-sagen-1.1619890
    Grüsse pscl

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  2. hello hello aus dem norden,
    interessant, dass an der türkischen grenze ganz klar steht, dass hosgeld nid willkommen ist. aber das wäre ja noch besser. schön, dass der wegweiser nach istanbul schon gefunden ist. ich glaub übrigens nicht, dass die reifen richtig montiert sind. aber eben. gellen Sie.
    liäbä gruäss
    chrigu

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  3. Meine Güte, holt ihr auch mal Luft zwischendurch. Das nenn ich mal flott. Weitherhin viel Spass und viele tolle Eindrücke.
    Liebe Grüsse aus Basel
    Manuela

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  4. Vielen Dank für die Karte aus Belgrad! Das Frässpäckli kann durchaus noch warten, mir stehen in den nächsten zwei Monate drei Besuche auf Hochzeiten an... Die zweite Leinwand, die ich von euch heimgetragen habe, ist jetzt auch vers.. eh bemalt.
    Liebe Grüsse Sämi

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