Freitag, 28. Dezember 2012

Weihnachtsspeck made in Thailand

Seit langem getrauen wir uns wieder
einmal einen Grenzübertritt zu fotografieren!

Wir drückten auf den Knopf, erhielten einen Zettel mit einer Nummer und setzten uns aufs Bänkchen zu den anderen Wartenden. Als unsere Nummer aufgerufen wurde, gingen wir zum Schalter, händigten dem Beamten unsere Papiere und Pässe aus und entflohen der Hitze ins nächste Gebäude. Auf einem kleinen Bildschirm über unseren Köpfen lief stumm der letzte Bondstreifen - Daniel Craig stieg gerade in knappen Badehosen aus dem Meer - da wurden wir bereits wieder aufgerufen. Wir schoben 2000 Baht durch das Fenster und folgten den anderen Leuten wieder hinaus in die Hitze von Vientiane, begeistert von der Effizienz des thailändischen Konsulats: Morgen würden wir unser letztes Visum auf dieser Reise in den Händen halten. Unsere restliche Zeit in Laos verbrachten wir mit ein paar Tempelbesuchen und gutem Essen und machten uns dann auf den Weg ins benachbarte Königreich. Thailand - der südostasiatische Touristenmagnet - wir kommen! 

Skulpturenpark
Im ersten Städtchen gleich nach der Grenze wollten wir uns erst ein bisschen akklimatisieren. Neben dem Besuch der touristischen Hauptattraktion, einem skurrilen Betonskulpturenpark, gehörte dazu eine Strassenkarte aufzutreiben, Essensvorräte aufzufüllen und Sonnencreme zu kaufen. Wir bemerkten rasch, dass das Städtchen eher eine Grossstadt war und fragten in unserem Guesthouse nach, wo wir denn die benötigten Utensilien auftreiben konnten. Die Antwort war dreimal die gleiche: "Seven Eleven, Seven Eleven, and yes - Seven Eleven." So einfach? Im Tankstellenshop? Wir konnten es nicht ganz glauben, und fuhren deshalb raus, zum Einkaufszentrum am Stadtrand, wo wir alleine wegen dessen Grösse überfordert waren. Die Angestellten übten aber gerne ihre Englischkenntnisse an uns, waren überaus freundlich und hilfsbereit und nach einer Stunde hatten wir uns mit allem benötigten eingedeckt und feierten unseren Erfolg mit einer knusprigen Pizza und saftigen Donuts. 

Sorry, aber bei so viel Schönheit lohnt
es sich für mich nicht mehr für die
Kamera zu posieren...
Zurück im Guesthouse planten wir unsere Route und am nächsten Morgen um 6:15 ging´s auch schon los. Wie wir bereits kurz nach der Grenze festgestellt hatten, fahren Thailänder tendenziell auf der linken Strassenseite; daran mussten wir uns erst noch ein bisschen gewöhnen. Wir entschieden aber es ihnen gleichzutun und wechselten die Strassenseite, so oft wir daran dachten. Unser erstes Zwischenziel sollte Chiang Mai werden, wo wir Weihnachten verbringen wollten. 




Schöne Strasse am Mekong
Daher folgten wir einer wunderschönen, wenig befahrenen Strasse entlang des Mekongs in Richtung Nordwesten, liessen thailändische Vororte hinter uns und fuhren bald wieder vorbei an kleinen Dörfchen mit Holzhüttchen und "Tankstellen" in Bambushäuschen, wo das Benzin noch von Hand aus dem Fass gepumpt wird. Fast hätte man meinen können, wir radelten wieder auf Laotischem Boden, weit davon entfernt waren wir ja nicht - aber eben - nur fast: 

 Aussicht aus dem Guesthouse -
das Bild lassen wir auf unseren
Bettanzug drucken
Praktisch immer dann, wenn sich das kleine Hüngerchen wieder einstellte, tauchte in der Ferne eine der modernen thailändischen Tankstellen auf. Neben den obligaten Tanksäulen, die uns weniger interessieren, sind die Anlagen meist ausgestattet mit einem kleinen Café, verschiedenen Fressbuden und dem grün-orange-roten Riesen - Seven Eleven. Das Paradies für jeden Fahrradfahrer! Lust auf Süsses? Kein Problem - Bananenmuffins, Vanillekrapfen oder Schokocroissant in Plastik abgepackt für nur 20 Baht. Darf es etwas Erfrischendes sein? - Bediene dich selbst am Getränkeautomaten und geniesse eiskalten, gesüssten Kaffee, Tee oder Ovomaltine. Pappbecher, Deckel und Plastikröhrchen gibt´s gratis dazu. Oder lieber etwas herzhaftes? Das freundliche Seven Eleven Team hat verschiedene Croque Monsieurs fixfertig vorbereitet und wartet darauf, sie für dich zu toasten und ins Kartonschächtelchen abzupacken. Guten Appetit! Und falls dir das Angebot nicht reicht - gleich um die Ecke werden frische Ananas und Mango verkauft, eine Bude weiter gibt´s selbst gemachte Chips und Spiesschen und am letzten Stand duftet herrlich es nach knusprig gebratenen Hühnerschenkeln. Wenn du dich immer noch nicht entscheiden kannst, geh doch einfach wieder zurück, in den klimatisierten Seven Eleven, bis du am ganzen Körper Gänsehaut hast und dein Kopf auf gefühlte 18°C abgekühlt ist - bis dahin wirst du es bestimmt wissen. Das Ding-Dong der automatisierten Schiebetür fällt dir schon lange nicht mehr auf wenn du dann wieder nach draussen gehst, von der Hitze erschlagen wirst, die unzähligen Thailandflaggen und königlichen Fahnen über dir im Wind flattern siehst und denkst - "Thailand - I love you!

Touristisches Fischerdorf
Chiang Khan

Bettelmönche

Laub- statt Regenwald
Doch nicht nur wegen des Essens lieben wir Thailand - auch wegen der unbegrenzten Freundlichkeit und Offenheit seiner Bewohner. Sobald wir uns ein paar Kilometer von touristischen Gebieten entfernt hatten, begrüssten uns viele Thailänder bereits am frühen Morgen fröhlich winkend mit "Hello, Hello!" und "Where are you from?" oder ganz einfach mit Sawatdi-Khaaaaaaa (Frauen) oder Sawatdi-Kraaaaap (Männer). Auch das Erlernen der Sprache hat sich hier erübrigt - entgegen unserer Befürchtungen sprechen in diesem Land sehr viele Leute Englisch - zumindest so, dass man sich knapp verständigen kann. Vor allem in den weniger touristischen Orten bieten wir vielen Leuten als Falang DIE Gelegenheit, ihre sprachlichen Fertigkeiten zu üben - wenn sie denn den Mut aufbringen können, uns anzusprechen. 

Blumen statt Reis
So erkundigten wir uns eines Morgens bei einer Grillhühnchen-Verkäuferin nach dem Weg nach Loei, bedankten uns und fuhren in die gewiesene Richtung davon. Keine zwanzig Meter später hielt ein Auto vor uns an und eine sichtlich nervöse, rundliche Thailänderin stieg aus. "Can I help you?" fragte sie langsam, aber bestimmt. "Where do you want to go?" erkannte sie scharfsinnig. Obwohl wir den Weg bereits kannten, liessen wir uns noch einmal auf ein Gespräch ein und freuten uns über ihre Hilfsbereitschaft. 

Weingut statt Fischerhütte
Ein anderes Mal wurden wir auf einem Nachtmarkt etwas aufdringlich von einer jungen Thailänderin angesprochen, die Reis und Curry zum Mitnehmen verkaufte. Wir hatten eigentlich eher Lust auf gegrillten Fisch und wollten schon weiterziehen, doch sie blieb hartnäckig. Wir stellten dann schnell fest, dass sie überhaupt nicht daran interessiert war uns ihr Essen zu verkaufen, sondern einfach ein bisschen mit den Falang plaudern wollte. "I love foreigners" sagte sie, und quetschte uns dann aus über dieses und jenes. Sie interessierte sich für unsere Reise und fragte, wohin wir morgen fahren würden. Wir waren uns immer noch nicht ganz im Klaren, ob wir den Umweg nach Chiang Mai radeln wollten und daher grössere Etappen fahren mussten oder die Strecke mit dem ÖV zurücklegen sollten, also antworteten wir ihr "we don´t know". Sie war entsetzt. "What??? But you have to have a plan!!! Everybody needs a plan!" Domi und ich schauten uns stumm an und fühlten uns ertappt. Auf dem Heimweg beschlossen wir, unsere Räder in Phitsanoluk einzustellen und mit dem Bus nach Chiang Mai zu fahren.

Böse Biester
In kurzen Etappen fuhren wir nun immer weiter in den Nordwesten und waren erstaunt über die sich ändernde Vegetation. Wir erwarteten seit längerem richtigen Regenwald, doch plötzlich führte uns unsere Route wieder durch wunderschöne, herbstlich gefärbte Laubwälder; hätte man uns einfach ein Bild vor die Nase gehalten, hätten wir auf das Berner Oberland getippt. Einem plötzlichen Aufschrei von Domi folgte eine Zehntelsekunde später ein Aufschrei aus meinem Mund, die Beine waren erstaunlicherweise bereits auf dem Oberrohr parkiert: Um ein Haar verfehlte ich den zwanzig Zentimeter langen, dunkelgrünen Skorpion, der gefährlich seine Zangen gespreizt und seinen Stachel aufgestellt hatte und mich zurück in die Tropen holte. Zum Glück gibt´s solche Biester bei uns nur im Zoo. Auch die Kühe, die uns immer mal wieder friedlich wiederkäuend beäugten, sahen doch irgendwie etwas anders aus als zuhause, wenn wir nur wüssten warum?

Auso ceci n´est pas une vache, he!

Wir genossen die "kühle Bergluft" in den Hügeln von Nordthailand, durch die die "Green Road" uns führte. Auf diese Strasse, die im Lonely Planet ein Spezial-Abschnitt geniesst, hatte ich mich seit längerem gefreut - Nationalpark, Wasserfälle und hier und da ein Resort. Hier musste es einfach schön sein.


Ersetzt jedes Abführmittel
Hätten wir fast vergessen - Demokratie!
Während zwei Tagen schrien wir uns gegenseitig an, um bei einer Unterhaltung die vorbeirasenden Pickups zu übertönen, suchten vergeblich schöne Aussichtsplätzchen zwischen Souvenirständen und Wahlplakaten und hätten uns fast von einem der unzähligen Resorts davon abhalten lassen, wieder einmal unsere Campingausrüstung auszugraben. Pünktlich zur Mittagszeit erreichten wir das Hauptquartier des Thung Salaeng Luang Nationalparks, wo wir freundlich empfangen und mit Karte ausgestattet wurden: Etwa drei Kilometer von der mit Seven Eleven Müll gesäumten Hauptstrasse entfernt (die Thais haben ein etwas ambivalentes Gefühl für Müllentsorgung - einerseits schmeissen sie Abfall verantwortungslos auf die Strasse, andererseits fertigen sie aus gebrauchten Autoreifen niedliche Mülltonnen, Blumenkistchen und sogar Stühle...) und gut zweihundert Höhenmeter tiefer gelegen, befand sich ein Campingplatz am Ufer eines kleinen Bergbächleins. Etwas weiter östlich davon befanden sich ein paar Bungalows. Gleich daneben sei ein kleiner Laden, wo wir Essen kaufen könnten, teilte uns die nette Thailänderin an der Information mit. Wir freuten uns wie kleine Kinder auf den Sonntagsausflug und fuhren die steile Holperstrasse hinunter zum Zeltplatz. Wie sehr sich doch eine blühende Phantasie auf die Stimmung auswirken kann, wenn sie durch vorliegende Tatsachen zunichte gemacht wird: An einem seichten braunen Bach fanden wir einen verlassenen Zeltplatz, ein paar Bungalows und zwei schlafende Thais in Hängematten vor. Wo wir denn hier Essen kaufen könnten, fragten wir sie. Sie schauten einander an, zeigten den Berg hinauf und sagten "Entrance?" Etwas genervt da hungrig rollten wir auf die andere Seite des Bachs, wo wir unser Zelt aufstellen wollten. Immerhin hatte es dort eine funktionierende kalte Dusche und leicht vernachlässigte WC-Anlagen mit Spülung. In Zentralasien wäre dies der Himmel auf Erden gewesen. Wir erinnerten uns daran, versuchten für einen Moment den Luxus der vergangenen Tage zu verdrängen und suchten in unseren Taschen nach Essbarem. Nudelsuppe aus China - Perfekt! Wir assen alles auf und überlegten lange, ob und wo wir unser Zelt aufstellen wollten. Das nächste Resort wäre bestimmt nicht weit... Andererseits war dies die ideale Gelegenheit um Notvorräte zu vernichten und Kocherbenzin zu verbrauchen. Denn die Dichte an günstigen Guesthouses und Hotels würde wahrscheinlich weiter südlich nur noch zunehmen. Also entschieden wir uns zu bleiben, schnitzen eine Bambusflöte, bauten als es kühler wurde unser Zelt auf und freuten uns auf eine ruhige Nacht im Wald.

One, two, say: "Sticky riiiiiiice"
Da plötzlich, gerade als wir ein bisschen tiefer in unseren Taschen kramten und slowakische Fertignudeln mit Schinken und Käse fanden, fuhren nacheinander vier Pickups vor. Allesamt zum Bersten gefüllt mit weissgekleideten buddhistischen Nonnen. Sie stiegen aus und bald verwandelte sich der zuvor verlassene Campingplatz in ein einziges weisses Gewusel. Ich bahnte mir einen Weg hinauf zur Dusche und wurde freundlich von den thailändischen Nonnen begrüsst. Manche stellten bereits ihr Zelt auf, andere machten es sich mitten auf dem Weg auf einer Bambusmatte bequem. Eine fütterte mich mit Tamarinde und Sticky Rice, eine andere forderte mich freundlich zum Mitbeten auf. Ich faltete ein paar Mal grüssend oder dankend die Hände, ging duschen und schlich mich unauffällig an den weissgekleideten Frauen vorbei, zurück zu unserem Zelt. Mittlerweile hatten sich ein paar orange gekleidete Mönche unter die Gesellschaft gemischt und ein buddhistischer Priester wandte sich über ein Mikrofon an seine Schäfchen. Einige Mönche schossen noch ein Erinnerungsfoto von sich am Fluss, während eine kahlrasierte Nonne in sich gekehrt im Lotussitz auf einem Stein sass und vom fliessenden Wasser umgeben meditierte. Fasziniert beobachteten wir noch eine Weile das weiss-orange Treiben und wandten uns dann unseren Nudeln zu. Da kamen auch schon die nächsten Autos angefahren. Langsam füllte sich der Weg mit Fahrzeugen und der Zeltplatz mit Thais. Jeder fand ein Plätzchen für sein Zelt, ob auf ebenem oder abfallendem Gelände schien keine so grosse Rolle zu spielen, Hauptsache man kam nicht zu nahe an die Falang. Uns störte die Aussenseiterrolle in dieser Szene nicht und der Lärmpegel hielt sich erstaunlicherweise auch sehr in Grenzen - unsere Befürchtungen waren wohl noch Nachwehen von China. Das einzige was unsere Nachtruhe noch störte, war meine kaputte Isomatte. Aus unerfindlichen Gründen verlor sie durch ein unauffindbares Loch Luft. Vielleicht sollte ich nächstens doch lieber einen Bogen um Seven Eleven machen...

Phitsanulok...
...und Phitsanulok
Nach der letzten Etappe erreichten wir schliesslich die kleine Provinzstadt Phitsanulok und organisierten uns ein Busticket nach Chiang Mai, wo wir Weihnachten verbringen wollten.

Doch an Weihnachten erinnerten nur amerikanische Weihnachtslieder, die in Endlosschleifen Supermärkte beschallten, glitzerndes Goldlametta und kitschige Plastiktannenbäumchen, die Eingangsbereiche von Restaurants und Hotels zierten und die vielen Handys, die ausnahmsweise nicht im Gangnam Style klingelten sondern fröhlich Jingle bellten. Obwohl uns die Weihnachtsstimmung sozusagen mit der Keule serviert wurde, wollte sie sich aufgrund der schwülen Temperaturen und des fehlenden Schnees nicht richtig einstellen... Trotzdem liessen wir dann die Sorgen um überflüssige Kalorien typisch weihnächtlich beiseite und genossen die vielseitigen kulinarischen Angebote Chiang Mais. Essen fast wie zuhause - Same Same! - But... "Me no have Orange Juice now - we give Passionfruit! - Same color!" (O-Ton einer Servierdame nach dem Bestellen des kontinentalen Frühstücks) ...different. Tja, eben nur fast. Unser Weihnachtsmenü sollte Italienisch sein und im Pulcinella Da Stefano gönnten wir uns einen ausgezeichneten Dreigänger, der in so grossen Portionen daher kam, dass auch unsere Schweizer Tischnachbarn davon profitieren konnten und daraus wurde ein kurzweiliger Heiligabend zu viert. Die nächsten Tage verbrachten wir mit Rollerfahren (unser neues Hobby!), Zoobesuch und Kochkurs und rundeten unsere weihnächtliche Exkursion nach Chiang Mai ab mit Kindern die sich gegenseitig die Köpfe einschlugen (Muay Thai Boxing - ganz so schlimm war´s dann auch nicht). Zeit, unsere Köpfe wieder etwas im Fahrtwind zu durchlüften...

Einige Eindrücke aus Chiang Mai:









Mittwoch, 12. Dezember 2012

Laos - von Fahrradfahrern, Bergen und Traktorpneus

Pak Ou Grotte

Nachdem wir uns in Luang Prabang von den Rahmenstrapazen richtig erholt hatten (Sightseeing mit Cocktailschlürfen am Mekong-Ufer, Gänggele am Nachtmarkt in der Innenstadt und "Happy Hour-ing" in den Bars am Fusse des Phou Si Hügels) waren wir bereit, uns wieder auf die Strasse zu wagen. Doch vorerst mit einem gemieteten Motorroller. Wir ersetzten die Helme in Falang-Grösse, die sogar für unsere Dickschädel zu gross ware, mit unseren verschwitzen Velohelmen und brausten los: Erste Station - Buddha Höhle. Nach gut 20 km auf derselben Strecke, die wir schon vor einigen Tagen strampelnd zurückgelegt hatten, bogen wir ab in den Wald und folgten einem holprigen, achterbahnmässigen Feldweg ans Ufer des Mekong. Ein "geschäftstüchtiger" Laote beförderte uns dann auf seinem Langboot an die andere Uferseite zur heiligen Pak Ou Grotte, in welche Pilger über die Zeit hinweg insgesamt über 4000 kleine und grosse Buddhastatuen platziert hatten. 

Tad Sae Wasserfall
Gegen Mittag fuhren wir dann wieder zurück nach Luang Prabang, um dann in Richtung Süden weiterzufahren und unser nächstes Tagesziel - den beliebten Kuang Si Wasserfall - zu besuchen. Der Wind wehte vor allem durch mein Haar, wir genossen die Geschwindigkeit und legten wie im Flug zehn, zwanzig, dreissig Kilometer in Richtung Vientiane zurück. Irgendwann kam uns die Idee, nach dem Weg zu fragen. Perfekt - an einer Kreuzung fanden wir einen Laoten am Strassenrand. Seine Antwort: "That Kuang Si? - Ohhhhhh - Luang Prabang!" Und er zeigte mit dem Finger in die Richtung aus der wir gerade gekommen sind und machte dann eine abbiegende Bewegung in Richtung Mekong. Mit knirschenden Stockzähnen setzten wir uns wieder auf den Roller und fuhren zurück. Da es inzwischen schon Spätnachmittag war, die Sonne hier bereits um halb sechs hinter den Bergen verschwindet und es hier in der Gegend überall Wasserfälle gibt, besuchten wir noch rasch den nahegelegenen Tad Sae Wasserfall, und schwörten uns, beim nächsten Mal entweder das GPS mitzunehmen oder vor der Abfahrt wenigstens einen Blick auf die Karte zu werfen...

Frühmorgens im Nebel
Früh am nächsten Morgen fuhren wir dann endlich weiter in Richtung Süden. Vor uns lagen mehr oder weniger flache 30 km (die wir ja bereits gesehen hatten), gefolgt von zwei langen Anstiegen. Beim ersten Berg wurden wir bereits von einem schottischen Leichtgepäckfahrradfahrer eingeholt (diesmal hatte ich keine Probleme damit, schliesslich überholte dieser uns nicht so arrogant im Wiegetritt...) und oben auf dem Pass trafen wir auf die männliche Hälfte eines australischen Velofahrerpärchens. Ja, Laos ist wahrlich ein Veloparadies - kein Verkehr, wunderschöne Hügel und gutes Essen - nicht nur wir haben das bemerkt. Die meisten Radler, denen wir begegnet sind, fahren jedoch ohne Campingausrüstung und sind dementsprechend etwas leichter und schneller unterwegs als wir. Nicht so bei der Abfahrt - durch unsere Rennposition und unser "Über"-gewicht fahren wir den meisten um die Ohren. Doch auf den Abfahrten auf den kurvigen Bergstrassen hier in Nordlaos sind wir noch vorsichtiger als sonst: Nicht selten fuhren wir an knapp zwei Meter breiten Schneisen im Gestrüpp am Strassenrand vorbei, die viel weiter unten am Abhang mit einem Erdwall ziemlich abrupt endeten. Wo das Gelände zu steil war, blieb der Verursacher liegen: Reisebusse, Lastwagen und andere verunfallte Fahrzeuge. Und oben am Strassenrand standen Blumen, Essen und Getränke für die unglücklichen Seelen. Ein unheimlicher Anblick. 

Hausgeist - Geisterhäuschen
Die meisten Laoten sind Theravana Buddhisten, doch besonders hier im Norden mischt bei religiösen Ansichten noch immer der traditionelle Ahnenkult und Animismus mit. So geistern in den Bergen von Nordlaos wahrscheinlich tausende pii petu umher, übelwollende Geister, die die Verstorbenen zu ihren Lebzeiten beschützt hatten und die durch den Unfall nun nicht mehr wiedergeboren werden können. Einen niedlicheren Anblick bieten jedoch die zahlreichen Geisterhäuschen der pii, der Hausgeister, welche die Häuser der Laoten beschützen. Jeder Hausgeist soll sich besonders wohl fühlen in seinem Häuschen, damit er möglichst wenig Probleme bereitet und sich voll und ganz seiner Aufgabe das Haus zu beschützen, widmen kann. Doch pii sind nicht so einfach zufrieden zu stellen - sie erwarten regelmässig kleine Geschenke und Gefälligkeiten, wie ein bisschen Reis zum Essen oder Wasser oder Reiswein zum Trinken. Manche pii mögen aber offensichtlich lieber Fanta in der Plastikflasche, Erdbeermilch im Tetrapack oder zum Frühstück eine Zigarette. Und wehe, man vergisst gegen die Nachmittagshitze das Sonnenschirmchen über dem Dach aufzuspannen!  


Im Guesthouse in Kioukachan
Die Sonnenschirmtechnik, um sich auf dem Fahrrad gegen die Hitze zu schützen, beherrschen die laotischen Schulkinder, mit denen wir jeden Morgen und gegen Mittag die Strasse teilen, immer noch besser als wir und so erreichten wir nach anstrengenden sieben Stunden schweissgebadet Kioukacham, ein verschlafenes, kleines Nest auf dem zweiten Pass und quartierten uns in einem kleinen Guesthouse mit atemberaubender Aussicht auf die nordlaotische Berglandschaft ein. 





Landet alles auf dem Grill
Der zweite Tag war dann im Prinzip ein "downhill" Tag, nur lagen dazwischen noch einmal ein paar Berge. Da ich mich mental eher auf runter- als auf rauffahren vorbereitet hatte, wurde dieser Tag beinahe noch anstrengender als der vorherige. Doch die überwältigende Landschaft machte alles wett. Nach einem kleinen Imbiss am Markt von Phoukhoun tauchten zwischen den Wolken am Horizont urplötzlich die Umrisse der mächtigen Karstfelsen auf, die über den grünen Hügeln von Kasi thronen. 





Karstfelsen bei Kasi
Noch lagen sie in der Ferne auf Augenhöhe, doch bald vernichteten wir wieder Höhenmeter und verschwanden zwischen den schroffen Felswänden. Und so wurde die nächste Tagesetappe, unbedeutende 60 km von Kasi nach Vang Vieng, zu einer der eindrucksvollsten Strecken auf unserer bisherigen Reise. 







Kleine Laoten bei der Fahrradunterhaltung
zwischen Kasi und Vang Vieng










Karstlandschaft vor Kasi
schroffe Karstfelsen vor Vang Vieng














Gonna go tubing tomorrow?
Die Ankunft in Vang Vieng war jedoch ernüchternd - die Strassen waren vollgestopft mit Restaurants und TV Bars in denen - seit eh und je -Friends läuft. In und zwischen den Lokalen tummelten sich mehr oder weniger betrunkene, mehr oder weniger bekleidete Touristen, die sich seit eh und je die selbe Frage stellen: "Gonna go tubing tomorrow?"
Wir mieteten ein Zimmer in einem Guesthouse und fragten die Empfangsdame hungrig, wo es denn hier Sandwiches gäbe. Sie konnte sich ein verdutztes Lachen kaum verkneifen und meinte, gleich da hinten um die Ecke. Wir waren begeistert - es gab Sandwiches in Vang Vieng! Später stellten wir fest - es gibt Sandwiches an jeder Ecke in Vang Vieng (und himmlische Banana-Nutella-Pancakes übrigens auch - rein dafür lohnt es sich hier hin zu gehen). 



Phu Kham Höhle
Am nächsten Tag war Action angesagt: Wir hatten einen Tagesausflug mit "Tubing, Trekking, Caving, Kayaking" gebucht. Zusammen mit ein paar anderen wagemutigen Touristen wurden wir in einem Tuk-Tuk an den Ausgangsort gekarrt, von wo aus wir über ein Reisfeld zu einer mit Wasser gefüllten Höhle "trekkten". Dort schwangen wir uns in einen aufgeblasenen Traktorpneu und zogen uns entlang eines Seils auf der Wasseroberfläche zum Höhleneingang, quetschten uns inklusive des Reifens durch den engen Spalt, verschwanden in der Finsternis und zogen uns immer weiter in die Höhle hinein. Wir hatten natürlich alle zuvor Stirnlampen erhalten, mit denen wir die Stalaktiten über uns eingehend bewundern konnten. Nach dem "Tubing" und "Caving" wurde uns ein leckeres Mittagessen serviert und danach ging es weiter zum "Kayaking", wo wir von unserem Guide kurz instruiert wurden: "In the middle, we make break to empty kayaks of water - because our kayaks not new". Alles klar - wir hatten ja Schwimmwesten. Es war ein richtiger Genuss für einmal zu paddeln anstatt zu pedalieren. 

Wo bitte geht´s denn hier zur blauen Lagune?
Wir überholten ein paar Jugendliche beim "Tubing" auf dem gleichen Fluss, die gewappnet waren mit Plastiksäcken bis oben hin gefüllt mit Beerlao Dosen. Während der Pause beim Kletterfelsen erklärte uns unser Guide, dass die berühmt berüchtigten Bars entlang des Ufers, die neben Alkohol auch Marihuana, Pilze, Opium und andere Drogen als Zwischenverpflegung an die "Tuber" verkauft hatten, vor drei Monaten von der Regierung geschlossen worden seien. Vierzig Todesfälle innerhalb der letzten zwei Jahre hätte den Rahmen doch etwas gesprengt. Ich schaute wieder zum Fluss und beobachtete eine müde Träne, die etwas verloren im Ring lag und langsam den Nam Som hinunter gondelte, und befand: Ohne Drogen ist das Tubing bestimmt nicht mehr gefährlich, sondern einfach nur noch eines - laaangweilig. 

Am nächsten Tag hatten wir vom Abenteuer noch nicht genug und erkundeten auf unseren Fahrrädern, ohne Gepäck, die wunderschöne Karstlandschaft bei Vang Vieng. Doch natürlich erst nach einem ausgiebigen Traveller´s Frühstück gefolgt von Banana-Nutella-Pancakes. Die unzähligen Höhlen bei Vang Vieng laden zum "Extreme Caving" ein, doch wir, die uns - dank fehlendem GPS-Track und mangelndem Kartenmaterial mal wieder verfahren haben - verbrachten den Tag mit "Extreme Cave-such-ing". Eigentlich wollten wir nach der Phu Kham Cave bei der blauen Lagune ja noch zur beliebten Chang Höhle, doch da wir schon mal auf dem (falschen) Weg waren und es hier überall Höhlen gibt, besuchten wir eine andere, wo man ebenfalls schwimmen gehen konnte... oder eben nicht.

Ein Lao-Salat als Snack


Wo ist denn diese Sch... Höhle?
waren ganz begeistert von
Domis blonden Armhärchen


Ach ja?
Entschädigte unser verpasstes Höhlenschwimmerlebnis


Es wird heiss

Am nächsten Tag fuhren wir durch hügelige Landschaft immer weiter südlich. Dann wurde die Strasse flacher und flacher und  die Temperaturen heisser und heisser. Am Mittag des zweiten Tages erreichten wir die Hauptstadt - Vientiane, unsere Endstation in Laos. Und hier gönnten wir uns endlich, worauf wir uns schon seit dem tibetischen Hochland gefreut hatten: Ein Café-au-lait und ein Croissant pur beurre. Vive la France!






Morgenstimmung bei Phon Hong
Sabaidii Laos


Montag, 3. Dezember 2012

Zaijian China - Sabaidii Laos

Jinghong verschwindet langsam im Nebel

Wir hatten es uns bereits gemütlich gemacht in Jinghong, der Dschungelgrossstadt am Mekong und wollten unsere Einreise nach Laos vorbereiten, als Domi kurz nach Mittag vom Einkaufen zurückkam - mit schreckgeweiteten Augen und laut protestierend, dass er nie mehr wieder ein Shopping Center in China betreten würde. Ich war wenig begeistert von dieser Idee aber liess ihn dennoch ausreden. Was er mir danach berichtete, wollte ich mit eigenen Augen gesehen haben. Auf einer gemeinsamen Zweit-Expedition erfuhr auch ich, dass die Einkaufsassistentinnen im Daxin-MART eine alternative Strategie entwickelt hatten, arme laowai zu verwirren: Beim Eingang wurden wir von einer Angestellten begrüsst, die uns, verstärkt durch ein Megafon, die aktuellen Sonderangebote ins Ohr kreischte. Wie auf Befehl wiederholte sie dies bei den Leuten, die direkt hinter uns die Rolltreppe heraufbefördert wurden. Mit Körbchen getarnt verschwanden wir hinter dem nächsten Regal und wollten möglichst rasch unsere Einkäufe erledigt haben. Doch es waren einfach zu viele: Jede Assistentin, die uns bemerkte, grüsste und spulte roboterhaft einen Spruch ab, der ebenfalls sehr nach Sonderangeboten klang. Etwas verwirrt erreichten wir endlich die Frischwarentheke, wo wir einem weiteren Angestellten Äpfel, Kiwi, Mandarinen, Orangen und Bananen zum Einwiegen gaben. Mit knappem Befehl hiess er uns auf seine andere Seite zu stehen, wo wir die eingewogenen und abgepackten Früchte wieder entgegenzunehmen hatten. Im Eilzugstempo wog er die Früchte ein und teilte uns bei jedem Sack mit mechanischer Stimme Inhalt, Gewicht und Preis mit. Unschlüssig, ob es sich soeben um Mensch oder Roboter gehandelt hatte, zogen wir weiter in Richtung Müsli-Regal. Dann, um Punkt 11:50 gingen die Angestellten des Daxin-MART zum gemeinsamen Hauptangriff über: Über zahlreiche Lautsprecher ertönte plötzlich eine singende Frauenstimme begleitet von einer einnehmenden, herzerweichenden Melodie. Die Assistentinnen stellten sich sofort entlang der Regale in einer Reihe auf und begannen lauthals mitzusingen. Es wäre eventuell möglich gewesen, sich zwischen den mindermusikalischen Angestellten durchzuschieben und sich eine Packung Müesli zu sichern, wenn diese den Einsatz zur meist auf schwingenden Armen basierenden Choreographie verpasst hätten. Die Assistentinnen waren jedoch geübt und da nun praktisch alle Gänge mit singenden und schwingenden Frauen besetzt waren, blieb uns nichts anderes übrig, als die drei Minuten geduldig abzuwarten. Als der Spuk endlich vorbei war, suchten wir uns rasch unseren restlichen Bedarf zusammen und eilten zur Kasse, wo ein junges Mädchen jedes Produkt scannte, mit Namen benannte und den Preis laut von der Kasse ablas, ohne jemals wirklich Luft zu holen. Wir schafften es, sie zu unterbrechen um eine Stofftüte zu kriegen, bezahlten die Endsumme, und verliessen diesen schauderhaften Ort. Von nun an würden wir wieder den Frischwarenmarkt in der Stadt aufsuchen, wo Chinesische Händler ihre Früchte neben lebenden Kröten, Hühnern, Bambusmaden und Schweineköpfen feilhielten.
Zum Znacht verabredeten wir uns dann noch ein paar Mal mit Mecki und Rolf, zwei deutschen Langstrecken-Radlern, die wie wir zu den Pamir-Gestrandeten in Dushanbe zählen und die wir seit da nun bereits zum vierten Mal  wiedergetroffen haben. Auch sie waren auf dem Weg nach Laos, hatten aber noch kleine Scherereien mit ihren Fahrrädern, die von den Fachkräften in Jinghong mehr schlecht als recht repariert wurden.

Am Mekong
Nachdem wir unsere Laos-Route grob geplant hatten, machten wir uns auf den Weg in Richtung Grenze. Die alte, aber noch gut erhaltene Strasse, die oft durch schattenspendenden, grünen Monsunwald führte, war ein Traum für jeden Radreisenden: Niemals flach doch praktisch immer ohne Verkehr, denn dieser wurde fast gänzlich durch den viel neueren Expressway aufgefangen, den wir immer mal wieder aus der Ferne erblickten 
und der über unzählige Brücken und durch endlose Tunnels an der Landschaft vorbei auf direktestem Weg ins südliche Nachbarland führt.




Der dünnflüssige Latex
rinnt ins kleine Töpfchen,...
...durch Säurezugabe verdickt und
per Laster abtransportiert.
...wird per Motorrad
zu den Sammelstellen gebracht,...




Eine Ananas - zwei Ananasse?
Längere Dschungelabschnitte entlang unserer Strecke wurden schliesslich wieder unterbrochen durch idyllische Dai-Dörfchen mit zunehmend modernisierten Holzhäusern auf Stelzen. Oftmals war der Urwald aber auch gänzlich abgeholzt und durch Kautschuk- oder Ananasplantagen ersetzt worden, was uns zum ersten Mal die Gelegenheit gab, diese tropische Königsfrucht direkt beim Bauern zu kaufen und zu kosten. Ein süss-saftiges und hoffentlich nicht einmaliges Esserlebnis! Bietet sich uns diese Gelegenheit jedoch nicht mehr, gibt es Alternativen für Zuhause: Man öffne eine Dose Ananas, esse genüsslich die Ringe, ersetze jedoch gedanklich den metallischen Geschmack mit noch mehr Süsse und giesse sich anschliessend den übriggebliebenen Saft in den Ausschnitt.



Ein letzter Blick zurück -
China Expressway
So fuhren wir immer weiter in den Süden, begleitet von einer wahrlichen Schmetterlingsparade, und erreichten nach zweieinhalb Tagen die Chinesisch-Laotische Grenze. Wie wir mittlerweile wissen, ist die Welt auf dem Fahrrad klein, und so kam es, dass wir direkt vor dem Eingang der Chinesischen Passkontrolle wieder auf Urs und Marlen trafen, zwei (wie könnte es anders sein) Schweizer Rucksacktouristen, die in Bischkek verständlicherweise aufs Rad umgesattelt sind. Sie erklärten uns rasch den effizienten Chinesischen Grenzübertritt inklusive Do-it-Yourself Passkontrollapparat (diesmal ein echter Roboter) und fuhren dann vor uns nach Laos. Anschliessend drückten wir einem überkorrekten Grenzpolizisten unsere Pässe in die Hand, worauf uns eine Stimme etwa zwei Oktaven unterhalb der Stimmlage eines Durchschnittschinesen und in einer uns zudem etwas vertrauteren Sprache fragte: "Habt ihr was anzumelden?" - Hinter uns standen Rolf und Mecki, die uns über den - für Fahrradfahrer verbotenen - Expressway ein weiteres Mal eingeholt hatten. Nun bereits Experten in Chinesischen Grenzübertritten erklärten wir ihnen das lokale System und erwarteten sie dann auf der Laotischen Seite, die einer komplett anderen Welt anzugehören schien: Das Grenzhäuschen war nicht viel mehr als eine Baracke mit Wellblechdach, das Visum liessen wir uns unkompliziert gleich an Ort und Stelle ausstellen. 

Laos: Eiskaffee aus dem Plastiksack
Zusammen mit "Team Express" fuhren wir dann los, ins erste Dörfchen nach der Grenze. Die Landschaft hier machte, obwohl noch viel stärker abgeholzt als zuvor in Xishuangbanna, einen viel wilderen Eindruck: Bananenplantagen schienen sich selbst überlassen zu sein, Reisfelder verlassen und unordentlich. Alles wirkte aber auf eine gewisse Weise viel natürlicher. Die strikte und säuberliche Ordnung, die in China jedes bewirtschaftete Stück Land bis hin zum nicht existierenden Unkraut beherrscht, führte uns erst jetzt der Grenzübertritt nach Laos vor Augen. Aus den Bambushüttchen-Restaurants am Strassenrand klang seichte Sommermusik, und vor den gelben Türmen gestapelter Beerlao Harassen spielten halbbekleidete, sonnengebräunte Kinder und begrüssten uns lachend und giggelnd mit einem fröhlichen Sabai-diiiii! Die Regeln waren schnell gelernt: Wehe wir grüssten nicht zurück - sofort verschwand die Fröhlichkeit aus ihrer Stimme und machte einem fordernden Unterton Platz: Sabai-DI!!!! Auf der Stelle erwiderten wir ihren Gruss, und schon war ihre Fröhlichkeit zurück und die Welt wieder in Ordnung. Sie schenkten uns ein zufriedenes Sabai-diiii zum Abschied und wir fuhren weiter zum nächsten Bambushüttendorf, wo das Spiel wieder von vorne begann. Ja, dies sollte in den nächsten Tagen zu unserem Laos-Radreise-Soundtrack werden: Sabai-diiii, Sabai-diiii, Sabai-diiii, Hellöu? (vereinzelt überholen uns auch jetzt noch Chinesen in Geländefahrzeugen), Sabai-diii, Sabai-diiii. Wir erreichten bald Oudomxai, wo wir uns in einem gediegenen Hotel im französischen Kolonialstil mit amerikanischem Frühstück, in einem Zimmer grösser als das Schlafgemach im laotischen Königspalast einquartierten und uns für fünf Euro eine Massage gönnten: Sabai-Spaaa.... 

Unser Luxushotel in Oudomxai
Etwas mulmig war mir schon zu Mute, denn ich wagte es noch nie mich einer Thai- geschweige denn laotischen Massage hinzugeben. Ich musste leichte, nicht ganz frische Baumwollwäsche anziehen und legte mich bäuchlings auf den Schragen. Ehe ich mich versah, waren meine Beine verknotet, die Füsse der glücklicherweise kleingewachsenen Laotin in meinen Kniekehlen und ihre beiden Daumen tief zwischen meinen Rippen. Unsere Muskeln, die mittlerweile über 13´000 km intus hatten, waren merklich ein hartes Stück Arbeit für sie, doch mit ihrem festen Griff und der eins-zwei-Knacks Methode, der man sich lieber ergeben sollte anstatt sich abwehrend zu versteifen (auch beim Genick), knetete sie auch uns windelweich. Nach einem Ruhetag (mich schwächte eine fiese Erkältung) fuhren wir los in Richtung Luang Prabang. Da auch wir uns mittlerweile "das Zelten abgewöhnt" hatten (O-Ton Mecki), erwartete uns eine Etappe von über 80 km und 1500 Höhenmetern bis zum nächsten Guesthouse. Nach bereits 8 km jedoch, knapp vor der Anhöhe des ersten kleinen Anstiegs - ich machte dank meiner Erkältung wieder einmal laut schnaufend einer Dampflokomotive Konkurrenz - überholte uns ein älteres, reiseradelndes Holländerpärchen locker flockig - im Wiegetritt. Dies war zu viel für meine Nerven und Lungen und Domi schlug vor, zurück nach Oudomxai zu radeln, um noch einen weiteren Ruhetag einzulegen, denn schliesslich waren die Zeiten des Visumstresses vorbei und es gab keinen Grund mehr, sich kränkelnd durch eine sonst so wunderbare Landschaft zu quälen. 

Haben ihn erwischt, den Schweizer!
Oudomxai zum Zweiten
Wir machten Kehrt und quartierten uns in einem gemütlichen Guesthouse ein, wo ich den ganzen Tag durchschlief und die ganze Nacht durchhustete: Noch ein weiterer Ruhetag war nötig. Wir wollten um noch eine Nacht verlängern, doch eine riesige Gruppe Oldtimer-Rally Fahrer zwang uns ein weiteres Mal die Unterkunft zu wechseln. Wieder fit machten wir uns also nach vier Nächten in drei Unterkünften auf den Weg nach Luang Prabang




schlammig


hügelig
kurvig

Die Etappe war wunderschön und für Velofahrer ein Klacks. Knacks. Knacks. Knacks... Dieses Geräusch begleitete mich nun schon seit mehreren Tagen und endlich kam ich auf die Idee, mein Fahrrad zur Generalkontrolle anzumelden. "Domi, würdest du...?"  fragte ich nett und erntete - verständlicherweise - einen Schwall berndeutscher Kraftausdrücke, nachdem mein persönlicher Velomechaniker fachkundig festgestellt hatte, dass mein Tretlager wohl schon in China kaputtgegangen war. Das Problem: Wir befanden uns mittlerweile in Laos. War hier ein neues Tretlager aufzutreiben? Wir hofften auf die nächste grössere Stadt Luang Prabang. Bis dahin mussten wir es noch schaffen. Knacks. Knacks. Es ging weiter. 

Sabaidiiiii
Wieder kamen wir durch kleine Dörfchen und wurden wie immer freundlich von laotischen Bergbauern und übermütig von ihren Kindern begrüsst - hier leben Leute, die trotz ihrer so offensichtlichen Armut ständig glücklich und zufrieden scheinen. Zu glücklich? Geprägt durch eine im Vergleich geradezu melancholische europäische Gesellschaft und eventuell auch durch pharmazeutisches Interesse, wurde ich plötzlich misstrauisch. Erst verdrängte ich diesen ketzerischen Gedanken, doch als wir an einem Schild mit der Aufschrift: "It´s everybody´s responsibility to prevent the abuse of drugs" vorbeifuhren, begegnete ich den Laoten mit mehr Sorge. Obwohl uns vielfach ein echtes Lächeln geschenkt wurde, schienen mir doch einige Erwachsene apathisch zu sein; andere wiederum waren ganz offensichtlich berauscht. Seit dem 18. Jahrhundert wissen die Laoten um die berauschende Wirkung von Opium, dem Rohprodukt aus dem Milchsaft des Schlafmohns. Doch eng mit dem Rausch verbunden ist die unverzüglich eintretende Abhängigkeit. 




Der kleine Bub stürzte sich auf meine Tasche. Er wird weinen, weil ich
sie ihm nicht öffne und die Mutter ihn von mir fortzerrt.
Obwohl die UNODC und die Laotische Regierung den Drogenmissbrauch stark bekämpfen (wir wurden zufälligerweise Zeugen einer routinemässigen Kontrolle der UNODC  in einem betroffenen Bergdorf) und der Anbau, Handel und Gebrauch von Opium in Laos seit 1996 als offiziell illegal erklärt wurde, bleibt Laos nach Afghanistan und Myanmar nach wie vor drittgrösster Opiumproduzent der Welt; der Anbau des Schlafmohns nimmt zur Zeit sogar zu und zudem werden neben Opium zunehmend synthetische Amphetamine gehandelt, welche vor allem von der jugendlichen Bevölkerung konsumiert werden. Die Rechnung ist einfach, das Problem zu lösen jedoch schwierig: Der Opiumanbau bringt den bettelarmen Bewohnern des Nordens immer noch ein Vielfaches an Geld ein von dem, was sie mit dem Anbau von Getreide verdienen würden. Fällt eine Ernte schlecht aus, leiden die Bauern Hunger - Opium hingegen bringt ihnen die nötigen Mittel um Nahrung zu kaufen. 


Auf dem Schulweg 2


Wellblechdorf
Auf dem Schulweg 1

Weiter südlich schien dann die Armut abzunehmen: Hier waren Gras- und Bambusdächer der Häuser bereits durch Wellblechdächer ersetzt worden. Wir fuhren und beobachteten. Knacks. Knacks. Knacks. Noch 90 km trennten uns von Luang Prabang, als Domi plötzlich bremste, abstieg und zu meinem Erstaunen - sein Tretlager kontrollierte. Eine Minute verging, ich wurde langsam ungeduldig, als Domi ungläubig hinter den schwarzen Saccochen hervorrief: "Wir haben ein Problem." Ich stieg vom Rad und gesellte mich zu ihm. Ein Blick und mein kaputtes Tretlager wurde mit sofortiger Wirkung zur unbedeutenden Angelegenheit: 

Oh-öööhli.
Der klaffende Riss an Domis Rahmen trennte das Tretlagergehäuse fast vom Sitzrohr, erstreckte sich weiter entlang der Schweissnaht und endete in einem Riss entlang des Unterrohres. Nach 13´363 km nun das plötzliche Aus unserer Reise? Zwei Akademiker und ein gebrochener Stahlrahmen im laotischen Dschungel sind schliesslich nicht gerade die besten Voraussetzungen, die man sich für eine erfolgreiche Weiterfahrt wünschen kann. Was nun? In Domis Reparaturtasche fanden sich schliesslich vier Kabelbinder, die Domi vor allem um mich zu beruhigen um den gebrochenen Rahmen band. Trotzdem fuhren dann sowohl Domi als auch ich wie auf rohen Eiern die letzten 90 km und schafften es ohne Zwischenfall ins Guesthouse in Luang Prabang. Gemeinsam klapperten wir am nächsten Tag die nötigen Stationen ab: 1) Sportgeschäft zum Erwerb eines neuen Tretlagers - 20 SFr. 2) Touristischer Veloverleih mit dem nötigen Werkzeug zur Entfernung und Montage der Tretlager - 10 min Arbeit zweier biertrinkender Laoten - 10 Sfr. 3) Motorradwerkstatt mit Mechaniker, der innerhalb einer Stunde Domis Rahmen schweisste - 2.60 Sfr. 4) Nagel Studio (das war dann mein grosser Auftritt: mir wurde die Aufgabe zugeteilt, den Lack - 1.30 Sfr. - für den reparierten Rahmen aufzutreiben). 


Fast wie neu - hoffentlich.


Schweissermeister
Viel hilft viel

Nachdem der Rahmen repariert war, kehrten wir noch einmal zum Veloverleih zurück, wo ein Arbeiter inzwischen seinen Beerlao Rausch ausschlief, bedienten uns ihrer Werkzeuge und erledigten die Montage von Domis Tretlager auf eigene Faust. Glück gehabt - das Tretlager passte immer noch, das Fahrrad machte wieder einen fahrtüchtigen Eindruck und die Reise kann weitergehen! 

Beim Königspalast
Am Mekong










Wat Xieng Thong 1


Wat Xieng Thong 3
Wat Xieng Thong 2
warten geduldig auf ihre Renovation













Delikatessen am Nachtmarkt
Nach diesem Schock freuten wir uns aber umso mehr auf einen sorglosen Besuch des UNESCO Weltkulturerbes. Die zahlreichen goldenen buddhistischen Tempel zogen uns in ihren Bann und die entspannte Atmosphäre in dieser Stadt lässt uns nun kaum mehr los. Neben knusprigen Sandwiches, süssen Cocktails und Souvenirständen, geniessen wir auch ausgiebig die laotischen Delikatessen wie gegrillten Fisch, Frühlingsrollen und Lao Coffee, beobachten dank der Südostasien-Reise-Hochsaison nach langer Zeit wieder einmal europäische Gesichter und Verhaltensmuster und stellen mit Erstaunen fest, dass die Sommermode 2012 komplett an uns vorbeigegangen ist.

...und sie sind eben doch die Schönsten.