Dienstag, 28. August 2012

In Kirgisien - über alle Berge...

Liebe Leser, entschuldigt die lange Wartezeit bis zu diesem Eintrag, doch nach meiner dritten Magenverstimmung mit anschliessender Antibiotika-Kur hat mich jetzt eine üble Erkältung erwischt, was kein Wunder ist - die Hitzewelle mit 40°C tagsüber ist hier auch vorbei, wir haben nur noch kühle 30°C. So war´s mir lange nicht nach Schreiben zu Mute. Doch nun lest, was wir Neues zu berichten haben:

Spuckspeuzwürgwääääähpfuäääääh!!! - das war die versprochene, vergorene Stutenmilch, doch zu der später. Nachdem wir in Osh im riesigen Bazaar unsere Verpflegungstasche wieder gefüllt hatten, machten wir uns auf den Weg nach Bischkek. Vor uns lagen knapp 700 km Asphaltstrasse, die uns über die Berge Kirgisiens in die Hauptstadt führen sollten. Doch zuerst mussten wir aus der weiten, heissen Ebene des Fergana-Tals raus. Von anderen, von Bischkek hergereisten Radreisenden wussten wir, dass wir noch während ca. drei Tagen schwitzen und leiden würden, und erst dann in angenehmere Gefilde kamen. Wie von der Wespe gestochen fuhren wir, widerwillig auf grenzbedingten Umwegen (schaut euch mal die Grenzen Zentralasiens an - kann man wirklich nicht ernst nehmen, das Chaos, oder?), durch die brütende Hitze an den Ausläufern des Fergana-Gebirgszuges entlang, hinein in die tropisch-schwüle Hitze von Jalal-Abad. Da der Fahrtwind immer eine willkommene Abkühlung war, machten wir unterwegs kaum Halt, und so kam es, dass wir mal wieder vor dem Mittag unsere 100 km beisammen hatten und uns nach einem Hotel umschauen "durften". 

heavy load
Wir genossen unseren freien Nachmittag und fanden uns bald wieder in einem gut besuchten Ashkana, wo wir Beshbarmak, ein traditionelles kirgisisches Gericht, bestellten. Doch nicht nur das Essen hinterliess einen bitteren Nachgeschmack. Die junge Servierdame versuchte uns auf etliche kreative Arten übers Ohr zu hauen, so dass wir richtig hartnäckig werden mussten, um nicht einen saftigen "Touristen-Aufpreis" bezahlen zu müssen. Da nur ich russisch sprach, aber viel weniger Geduld als Domi hatte, und daher bald resignierte, verliessen wir das Lokal schlussendlich mit zu wenig Geld in der Tasche und noch heisseren Köpfen. Frühmorgens am nächsten Tag verliessen wir die Stadt und fuhren vorbei an unzähligen Verkaufsständen mit Wasser- und Honigmelonen. Durch die vielen Bewässerungskanäle war die Gegend hier zwar fruchtbar, aber auch viel schwüler. Die Hitze war nur schwer zu ertragen, und wenn ein Brunnen auftauchte, sprang ich jeweils vom Fahrrad, direkt unter die kalte "Dusche". Für fünf bis zehn Minuten genoss ich anschliessend die Verdunstungskälte, bevor ich bereits wieder nach der nächsten Abkühlungsmöglichkeit Ausschau hielt. Domi hingegen benetzte ab und zu seinen Buff und damit hatte es sich. 

Sovjet-Stadt
Als wir endlich die Grenze zu Usbekistan verliessen und entlang des tiefblauen Kürp-Say Flusses ins Landesinnere fuhren, kamen auch die Berge der Fergana-Kette näher und näher. Es ging aufwärts, vorbei an gespenstischen Sowjet-Städten, mal durch rote, mal durch orange, mal durch sandfarbene Felslandschaften. Auch an diesem Tag trugen uns unsere Fahrräder mehr als 130 km weiter unserem Ziel entgegen, um der drückenden Hitze so rasch wie möglich zu entkommen. Bei Tash-Kömür hielten wir bei einem Ashkana an, assen Laghman, tranken Chai und überlegten, wo wir die Nacht verbringen wollten. Ein Meimankana (Hotel) gab es in diesem Ort nicht, und so wollte ich im benachbarten Kafe nachfragen, ob wir in ihrem Vorgarten für die Nacht unser Zelt aufstellen könnten. Ein eifriger junger Mann kam aus dem Raum, begleitet von zwei kichernden Mädchen, und machte mir die Datscha seiner Mutter schmackhaft: Dort unten im Tal, neben dem Fluss, hätte seine Familie ein Häuschen mit Swimming Pool, dort könnten wir übernachten oder unser Zelt aufstellen, ganz wie wir wollten. Er führte mich hinunter, und zeigte mir das Häuschen mit grossem Garten, der auch wirklich wunderschön war. Offenbar gehörte es einer reicheren Familie, denn tatsächlich, auch ein Swimming-Pool mit planschenden Kindern gehörte dazu! Ich bot dem Mann fünf Dollar an und dachte, dies sei mehr als genug, schliesslich brauchten wir nur ein Stück Land um unser Zelt hinzustellen. Unter zehn Dollar laufe hier nichts, entgegnete er mir dreist, und fragte mich noch, woher ich denn komme. "Aus der Schweiz" antwortete ich ihm leise und möglichst undeutlich, worauf er grinste und sagte "Ah, Schwizarja! Na, dort kostet doch eine Tasse Kaffee zehn Dollar, dann kannst du ja hier genauso gut zehn Dollar für eine Nacht bezahlen!" Ich war hundemüde, und wollte eigentlich nichts lieber als endlich einen Platz zum Schlafen haben, doch nach dieser Aussage wurde ich so stinksauer, bedankte mich höflich fürs grosszügige Angebot, verliess das Anwesen auf dem schnellsten Weg und ging zurück zum Kafe


Abendstimmung am See
Das Pedalofahren überliessen wir den Kirgisen










Auf einem bequemen Tapchan hatte sich Domi unterdessen zwischen zwei kirgisische Lastwagenfahrer in die hochprozentige Dunstwolke gesetzt und zu plaudern begonnen. Sie teilten ihm mit, dass es in nicht allzu weiter Ferne ein perfektes Zeltplätzchen mit Strand gäbe. Unsere Blicke schweiften zu den steil abfallenden Felsen links und rechts der Strasse und wir vermuteten, dass der Wahrheitsgehalt dieser Aussage wohl umgekehrt proportional zum Blutalkoholspiegel der Lastwagenfahrer war. Auch der Halsabschneider von vorhin war wieder aufgetaucht, hatte unsere Frage mitgekriegt und wollte uns überzeugen, dass es in den nächsten 25 km keinen ordentlichen Platz gäbe zum Zelten, und es sei sowieso schon spät, uns fehle die Zeit, und ausserdem hätte es in dieser Gegend nur Leute, die Böses tun. Unsicher ging ich in die Küche zur Besitzerin des Kafes und der Datscha, und fragte sie um ihre ehrliche Meinung. Lange sagte sie nichts, doch dann hatte sie wohl doch Mitleid und gab zu, dass in drei Kilometern Entfernung ein kleiner Strand läge, wo wir bestimmt zelten könnten. Ich bedankte mich, diesmal aufrichtig und wir fuhren weiter. Tatsächlich fanden wir kurze Zeit später den besagten Strand sogar mit Pedalo, unterhielten uns mit der netten Besitzerfamilie und schlugen unser Zelt auf. Gegessen hatten wir ja schon, und so wuschen wir uns nur rasch im eiskalten Wasser und verkrochen uns endlich in die Schlafsäcke.



Ein letzter Pass, dann runter an den See
Schöne Aussicht aber anstrengende Strasse











Die Nacht am See hatte uns so gut gefallen, dass wir am darauffolgenden Tag, um an den nächsten See zu gelangen, ein ordentliches Stück (wieder knapp 100 km) zurückzulegen bereit waren. Die Strasse machte uns fertig: es ging auf und ab und auf und ab, dazu blies ein heftiger Gegenwind, und so hatten wir zu Mittag erst 50 km auf dem Tacho und einen riesen Kohldampf. Jeder verdrückte vier Spiegeleier mit vier Scheiben gebratener Wurst (neben Laghman unser Lieblingsgericht), dazu viel Brot und je einen Liter Fanta zum Tee. In der Imbissbude war es uns zu heiss, und wir hatten noch eine ziemliche Strecke vor uns liegen, und so stürzten wir uns wieder in den Gegenwind. Dieser hatte zum Glück etwas nachgelassen, dafür brannte nun die Sonne um so stärker auf unsere Rücken herab. In Karakul, eine verlotternde Stadt mitten in den Bergen, wurden wir von der Dorfjugend ausgelacht und mit Äpfeln beworfen und kurze Zeit später zeigten uns pubertierende Jungs beim Vorbeifahren aus ihrem roten Sportwagen den Stinkefinger. Nein, mit den Kirgisen waren wir definitiv noch nicht warm geworden. Enttäuscht kühlten wir uns und unsere erhitzten Gemüter etwas ab im nahegelegenen Bergbach. Zum Stausee waren es nur noch ein paar Kilometer, die aber über einen Pass führten. Geduldig erklommen wir auch noch die letzten Höhenmeter und genossen danach die rasante Abfahrt hinunter an den Toktogul-See. Wie erhofft, fanden wir auch hier einen schönen Strand mit Zeltplätzchen direkt am See. All die betrunkenen Kirgisen, die am Strand noch die letzten Tropfen Wodka aus ihren Flaschen leerten, diese dann irgendwo in den See warfen und sich anschliessend auf den Heimweg (natürlich mit dem Auto, wie den sonst) machten, waren uns ziemlich egal. Ausser die paar Jungs, die vor ihrem roten Sportwagen sassen und grölten, begrüssten wir übertrieben freundlich, worauf diese ganz plötzlich verstummten und sich fünf Minuten später aus dem Staub machten. Wir hüpften samt Kleidung in den See und genossen den Sonnenuntergang. Dem speziellen Geruch, der in der Luft lag und den wir nicht zuordnen konnten, schenkten wir keine Beachtung mehr. Bald fielen wir auch schon in einen tiefen, erholsamen Schlaf.
Am nächsten Morgen musste ich als erstes hinter die Büsche, und von denen hatte es hier am Strand genügend. Ich suchte mir ein möglichst buschiges Exemplar aus, und kauerte mich dahinter. Als ich so vor mich hin kauerte und den Strauch vor mir genauer betrachtete, stiess ich plötzlich ein erstauntes "Höä???" hervor, und schaute mich um. Und sofort konnte ich auch den speziellen Geruch zuordnen. Man muss schon 100 km und 1600 Höhenmeter gemacht haben um am Abend so kaputt zu sein dies nicht zu bemerken: Wir waren umgeben von einem Meer hüfthoher Hanfstauden in voller Blüte! Wir hatten wohl Kurut auf den Augen...


Kurut - Leckerschmecker!
Was blüht den da?










Nach einem "Morgenschwumm" schwangen wir uns in die Sättel und fuhren weiter. Die heutige Etappe würde uns um den Toktogul See herum führen. Es war erst zehn Uhr, als wir erneut einen Bärenhunger verspürten (wir hatten nichts geraucht! Ehrlich! War sowieso alles voller Samen...). Das nächste Ashkana war nicht weit, und wir bestellten das übliche, vier Eier mit vier Wursträdli für jeden. Da die Dame die Eier erst kaufen gehen musste, blieben wir eine ganze Weile sitzen und unser Tagesplan wurde vollständig durcheinander gebracht. In der grössten Hitze würden wir nun die trockene Nordküste des Sees zurücklegen müssen, aber ein bisschen Gegenwind und schnell vorbeifahrende Autos und Lastwagen halfen, unsere zerfliessenden Körper wenigstens geringfügig zu kühlen. Es ist schon ein Wunder der Natur, dass wir schwitzen können. Das Verdunsten des eigenen Schweisses empfinden wir mittlerweile als etwas der angenehmsten Dinge beim Fahrradfahren, es ist ein echt schönes Gefühl! In Toktogul füllten wir wieder unsere Essensvorräte, nicht ohne übers Ohr gehauen zu werden (diesmal habe ich mich gewehrt), und fuhren hinein ins wunderschöne, grüne Tal am Fusse des Ala-Bel Passes. Unsere Taktik, am Spätnachmittag noch rasch etwas in einem Ashkana zu essen hatte sich bereits einmal bewährt, und so wollten wir dies wieder tun. Wir bestellten also bei der nächstbesten Gelegenheit eine Schtschorba, doch nicht ohne vorher nach dem Preis gefragt zu haben. Das typische zentralasiatische Gericht könnte man bestenfalls als "kräftig-aromatisches Rippenstück vom hungrigen Hochgebirgsrind auf Erdapfelmedaillon und Miniatur-Karotte in gehaltsvoller Rinderbrühe" bezeichnen - und trotzdem verlangte die gute Frau dafür einen gesalzenen Wucherpreis von 260 Som pro Portion. Enttäuscht teilten wir der Frau mit, dass wir nicht bereit seien "Touristen-Preise" zu bezahlen, und verliessen das Lokal, worauf sie nur peinlich berührt lachte und uns den Rücken kehrte. Wir versuchten es im nächsten Lokal, wo wir schliesslich insgesamt 300 Som (6 Franken) bezahlten für Suppe, Brot und Tee. Obwohl es sich jeweils nur um wenige Franken mehr handelt, und wir in der Schweiz ca. das zwanzigfache verdienen als die Kirgisen, stieg uns öfters beim Bezahlen der Rechnung die Galle hoch. Wir waren es langsam leid, immer nur als die "reichen Schweizer" angesehen zu werden. 



Äs cheibe härzigs Vögeli
Zelten am Bach











Nach der Mahlzeit fuhren wir noch ein paar Kilometer weiter das Tal hinauf, bis wir schliesslich an einem schönen Plätzchen am Fluss Halt machten und unser Lager aufschlugen. Die Kirgisen waren uns zwar immer noch fremd, doch die Landschaft hier war einfach traumhaft. Umgeben von hohen Bergen und Tannenwäldern fuhren wir am nächsten Morgen immer weiter die Passstrasse hinauf, vorbei an den zahlreichen Bienenkästen und Honigständen, und weit unter uns rauschte der Bergbach. Langsam wurden die Wälder spärlicher und machten weiten Alpwiesen Platz, auf denen in zahlreichen Jurten Kymys gegärt und Kurut geformt wurde. Anstatt Honig, wurden am Strassenrand nun die bei den Kirgisen so beliebte, vergorene Stutenmilch und die getrockneten Joghurtbälle verkauft. Bisher hatten wir uns ja vor dem kirgisischen Nationalgetränk etwas gedrückt, doch nun schenkte uns ein begeisterter Hirtenjunge eine kleine Flasche mit auf den Weg.


Fast wie in der Schweiz...

...Ach nein, doch nicht ganz.

Kymys-Produktionsstätte



Langsam spürten wir nicht nur die bereits zurückgelegten Höhenmeter, sondern auch die Höhe selbst. Der Pass war wieder auf über 3000 M.ü.M. und die Luft zum Atmen schwand, ebenso meine Motivation weiter zu fahren. Knapp unter dem höchsten Punkt konnte ich nicht mehr - Domi hatte mich schon vorher darauf aufmerksam gemacht, dass ich heute wohl nicht besonders fit sei, und nun, auf 2800 M.ü.M. schüttelte mich ein Heulkrampf. Ich hatte genug von Zentralasien, genug von schlechtem Essen, genug von unfreundlichen, abzockenden Kirgisen, genug vom Fahrradfahren überhaupt. Das erste Auto, das an uns vorbeifuhr, hielt an, und der Fahrer fragte, ob alles in Ordnung sei. "Fsyo Kharascho!" riefen wir zurück. Domi hielt mich noch eine Weile in den Armen, nahm mir dann Gepäck ab, und etappenweise fuhren wir schliesslich weiter, die Passstrasse hinauf. Beim nächsten vorbeifahrenden Auto wurden die Scheiben runtergelassen und es erschienen klatschende Hände. Mir kullerte wieder eine Träne über die Wange, diesmal vor Rührung, und ich beschloss mit den Kirgisen Frieden zu schliessen. Wir erreichten die Passhöhe, zogen uns warm an, und fuhren hinab ins Tal der Jurten. 



Zwischen Kühen und Pferden
Domi mit viel Gepäck - merci.










Mit Rückenwind legten wir noch weitere vierzig Kilometer zurück und suchten uns schliesslich ein Plätzchen zum Zelten, zwischen Kühen und Pferden, die friedlich nebeneinander auf der weiten Steppe grasten. Es dauerte nicht lange, kam auch schon ein kirgisischer "Cowboy" auf seinem Hengst daher geritten, gesellte sich zu uns und quetschte uns aus, über dies und jenes. Wir fanden, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, um die geschenkte Stutenmilch zu kosten. Wir gaben ihm als erstes einen Schluck, schliesslich mussten wir ja wissen, ob es sich um gute oder schlechte Qualität handelte, und als er anerkennend nickte, wagten auch wir uns. Der Geruch war bereits speziell, doch als sich der herb-süssliche Geschmack wie nach gezuckertem Heu in meinem Mund ausbreitete und die wässrige Milch unerwartet säuerlich auf der Zunge prickelte, konnte ich nicht anders als mich um zu drehen und die Brühe explosionsartig auszuspucken. Der Junge schaute mich mit grossen Augen an, und ich entschuldigte mich beschämt. Er versicherte mir, dass Kymys mit Zucker noch viel besser schmecken würde, und ich sagte ihm, ich würde dies dann morgen probieren... Am nächsten Morgen war unser Zelt noch gefroren und wir beeilten uns nicht allzu sehr um auf die Räder zu kommen. Doch die ersten Sonnenstrahlen kamen bald, und wärmten uns rasch auf. Wir packten unsere Sachen zusammen, und hinterliessen unseren Zeltplatz und einen eigenartig, säuerlich-herb riechenden Busch...


Jupiii...!!!
Kirgisischer Kiosk










Heute erwartete uns der zweite Dreitausender auf dem Weg nach Bischkek. Diesmal würden wir regelmässige Halte einbauen und öfters die Aussicht auf die Suusamyr Bergkette geniessen. Zudem liessen wir unsere Blutzuckerspiegel mit Snickers, Keksen und Fanta in die Höhe schnellen und so erreichten wir relativ locker den Tunnel, der uns auf die andere Seite des Töö-Ashuu Passes führen sollte. Wir zogen uns den nassen Buff über Mund und Nase und schalteten unsere Lichter an. Nach zweieinhalb Kilometern Fahrt durch dicken Smog und ohrenbetäubenden Lärm der Ventilatoren erreichten wir das andere Ende des Tunnels, atmeten saubere Bergluft ein und staunten über die Wahnsinns-Abfahrt (über 2000 Höhenmeter auf 50 km), die uns auf dieser Seite erwartete. Bei diesem Anblick konnte jeder Schweizer Bergpass einpacken! Auf engen Serpentinen vernichteten wir die ersten 1000 Höhenmeter im Nu. Die restliche Strecke führte durch ein enges Flusstal zwischen kargen Felsen hinunter nach Kara Balta. Das es hinunter ging merkten wir kaum, denn ein unsäglich starker Gegenwind liess uns fast härter in die Pedale treten als zuvor beim Aufstieg. Meine Motivation Fahrrad zu fahren schwand aufs Neue. 

Motivationslos in Kara Balta
In Kara Balta fanden wir nach einigem Herumfragen ein altes Russenhotel ohne fliessend Wasser aber mit sauberen Bettlaken. Da jegliche Kafes und Ashkanas in diesem heruntergekommenen Ort geschlossen waren, und wir auf dem Weg ins nächste Magasin etlichen Alkoholikern und Drogenabhängigen begegneten, beschlossen wir unser Znacht (Brot, Käse und Bier) auf unserem Hotelzimmer einzunehmen. Um uns zu Waschen, statteten wir dem benachbarten Banja einen Besuch ab. Doch der fensterlose Raum mit einer einzelnen, freistehenden Badewanne umgeben von unbequemen Holzpritschen glich eher einer Folterkammer als einer Badeanstalt. Der grimmige, bärtige Kirgise vor dem Eingang tat sein Übriges dazu, und wir bevorzugten mal wieder unsere kalte "Bidon-Dusche" im Hotelzimmer. 

Der nächste Morgen kam bald, und wir legten die restlichen 60 Kilometer nach Bischkek im Eilzugstempo zurück. Je schneller wir von dieser verkehrsreichen, staubigen Strasse runterkamen, desto besser. Kaum waren wir in der Hauptstadt angekommen, und hatten uns im Guesthouse einquartiert, holte mich das "Hauptstadt-Syndrom" ein. Wie bereits in Tashkent und Dushanbe suchte mich nun auch in Bischkek ein übler Käfer heim. Zeit aus Zentralasien zu verschwinden...


Einige Impressionen aus Bischkek











Samstag, 11. August 2012

Wo die Flüsse aufwärts fliessen...

Camping im Adventure's Inn

Zusammen mit anderen gestrandeten Weltreiseradlern und Rucksacktouristen sassen wir eine ganze Weile im Adventure´s Inn (Mini-Hotel konzipiert für ca. 8 Gäste - zu den besten Zeiten waren wir aber ungefähr 40 Leute, zusammengepfercht in neun Zelten im Vorgarten und auf der Garageneinfahrt. Ein paar Rucksacktouristen ohne Zelt schliefen noch irgendwo im Büro auf dem Boden) in Dushanbe und diskutierten hin und her, ob wir es nochmals wagen sollten in den Pamir aufzubrechen oder nicht. Schliesslich hörten wir immer wieder, die Strasse sei nun geöffnet und die Lage stabil. Auch von anderen Touristen, die aus dem Pamir zurückkamen, erfuhren wir, dass das Städtchen zwar wie ausgestorben sei, ein paar Barrikaden auf der Strasse errichtet seien, aber dass es ansonsten kein Problem war den Ort zu durchqueren - mit dem Geländefahrzeug. 

Viehmarkt
chumm, mir wei ine, es chuelet...
Trotzdem hatten wir ein ungutes Gefühl, und die Tatsache ein paar Tage zuvor selbst mit Polizisten einer tadschikischen Spezialeinheit gesprochen zu haben, erleichterte Domi und mir die Entscheidung wesentlich besser, als anderen, die die Situation nur vom Hörensagen einzuschätzen versuchten. Da für Touristen nur der nördliche Grenzübergang bei Khujand nach Kirgisien geöffnet war, war für uns schnell klar, dass dies unsere Ausreise aus Tadschikistan sein würde. Dazwischen lagen allerdings zwei Dreitausender, die absolut niemand, der vom Norden her nach Dushanbe geradelt war, ein zweites Mal befahren wollte - viel zu anstrengend. Nicht gerade rosige Aussichten, zumal mich schon wieder ein Käfer an den Porzellanthron fesselte und ich es mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte in einer Tagesetappe 2000 Höhenmeter zu strampeln. Da unser tadschikisches Visum noch eine Weile gültig war, und das kirgisische Visum erst in ca. 10 Tagen anlief, sassen wir noch ein paar Tage länger im Adventure´s Inn und gewöhnten uns schon langsam an den Alltag: Zu heiss im Zelt - aufstehen. In den Vorgarten zu den anderen Gestrandeten auf die kaputten Plastikstühle sitzen (am 1. August waren wir insgesamt 11 Schweizer, aber ohne Raketen), Frühstücken, diskutieren was zu tun sei, Plastikstühle ein Stück weiter in den Schatten schieben, diskutieren, neue Reisende begrüssen und informieren, junges Kätzchen streicheln, Plastikstühle ein Stück weiter in den Schatten schieben, diskutieren, demjenigen, der auf den Basaar ging Einkaufsaufträge mitgeben, Plastikstühle ein Stück weiter in den Schatten schieben, auf die Uhr schauen - Vier Uhr - Bier trinken, diskutieren, Plastikstühle ein Stück weiter in den Schatten schieben, Gemüsetäschchen (enthalten viel Zwiebeln und wenig fettes Fleisch) essen, diskutieren, schlafen gehen. 

Ab und zu machten wir auch Ausflüge auf Botschaften, wobei sich der Besuch beim Schweizerischen Konsulat als weniger hilfreich herausstellte als erwartet - sie hatten noch weniger Informationen als wir. Die Neuigkeiten, die wir aber von Seiten der kirgisischen Botschaft und von neuen Reisenden her erhielten, brachten plötzlich Schwung in das Ganze: Das Gerücht ging um, dass Khorog nun für mindestens zehn Tage für alle Touristen geschlossen blieb und der Grenzübergang, der aus dem Pamirgebirge nach Kirgisien führte, ebenfalls gesperrt worden sei. Dafür sei aber der nordöstliche Grenzübergang bei Karamyk aufgrund der aktuellen Lage für Touristen geöffnet worden. Zusätzlich erfuhren wir, dass Schweizer Staatsangehörige für Kirgisien ab dem 1. August 2012 kein Visum mehr benötigten. Wir konnten also sofort aus Tadschikistan raus, ohne uns über die anstrengenden Dreitausender quälen zu müssen. So packten wir unsere sieben Sachen, verabschiedeten uns vom Adventure´s Inn, und fuhren auf direktem Weg in Richtung Kirgisien.

Tagsüber war es immer noch brütend heiss in der Sonne, und wir waren froh, unseren ersten Zeltplatz auf einem Pass gewählt zu haben, so konnten wir uns wenigstens in der Nacht etwas abkühlen. Die Strasse führte uns von stark landwirtschaftlich genutztem Gebiet in felsigere Gegenden, wo ausser dem reissenden Fluss weit unten im Tal kaum mehr Wasser floss. Vereinzelt fanden wir Brunnen, an denen wir uns dann doch noch etwas erfrischen konnten (Domi benetzte ein bisschen den Kopf, ich mich von oben bis unten bis ich pflotschnass war). Am dritten Tag erreichten wir die Abzweigung nach Kalai Khum, und somit die andere Strasse, die in den Pamir führte. Zum ersten Mal in diesem Land bestätigte uns hier ein Kontrollposten, dass die Strasse nach Khorog geschlossen sei. Die Informationen schienen nun also definitiv durchgedrungen zu sein. So fuhren wir an der Abzweigung vorbei, weiter in Richtung Kirgisien. 

vom Gewitter verschont
im Oshkhona













Wir merkten bald, dass die Leute in diesem Teil Tadschikistans bisher wohl nur wenige Tourenradfahrer gesehen hatten. Sie reagierten mit Erstaunen und blieben eher zurückhaltend, als wir an ihren Lehmhütten vorbeifuhren. Hielten wir an, um kurz Rast zu machen oder um einen Gulasch oder Laghman (Nudelsuppe) zu essen, wurden sie aber dennoch neugierig und stellten uns die üblichen Fragen. Und anderswo wurden wir reich beschenkt mit einem Sack voller Gemüse und Brot, oder einem Einmachglas voll frisch gekochtem Aprikosenkompott. So konnten wir unsere etwas einseitigen "Pamir-Vorräte", die wir nun aufbrauchten, häufig noch etwas aufpeppen. 

letzter Zeltplatz in Tadjikistan
Mittlerweile war ich wieder fit um "normale" Distanzen zurücklegen zu können und das Wetter trug das seine mit dazu bei: Nachmittags zogen Wolken auf, es wurde kühler und irgendwo in der Ferne hörten wir jeweils Donnergrollen. Ausser den einzelnen unmotivierten Regentropfen, die sich in unsere Nähe verirrten, blieben wir jedoch vom Gewitter verschont. Gegen den Wind konnten wir aber nichts anderes tun als fester in die Pedale treten. Oftmals merkten wir gar nicht, ob wir bergauf oder bergab fuhren und wunderten uns plötzlich, dass Bäche neben uns in die falsche Richtung flossen. Wir hielten erstaunt an und versuchten unsere Orientierung zurückzugewinnen, was uns aber irgendwie nicht gelang. Hier schien das Wasser tatsächlich bergaufwärts zu fliessen.


Kirgisischer Heutransport
Im Niemandsland zwischen
Tadjikistan und Kirgisien











Etwas nervös waren wir schon, als wir schliesslich an der Grenze ankamen. Es kursierten viele Gerüchte und wir waren nicht sicher, ob diese Grenze auf einmal wieder geschlossen werden würde, sobald der Pamir-Highway wieder offen war, und dies konnte heute oder auch erst nächsten Monat der Fall sein. Und noch einmal zurück nach Dushanbe zu fahren, hätten wir beide im Kopf nicht ausgehalten. Wir merkten, dass auch wir für die Zöllner "Neuland" waren, als wir ihnen klar machen mussten, dass wir weder Fahrraddokumente auf uns trugen noch ein Nummernschild an den Rädern hatten. So liessen sie uns passieren und bald hatten wir den tadschikischen Ausreisestempel im Pass. Nach ca. 12 km Schotterpiste erreichten wir den kirgisischen Grenzposten, der aus nicht viel mehr bestand als ein paar verrosteten Bauwagen und einem Container mit Notstromaggregat. Zollkontrolle kannten sie hier nicht und den Einreisestempel erhielten wir relativ rasch auf eine neue Seite im Pass mit dem Kommentar des Beamten: "Schwijzarskji - visa nje nada!" Schweizer, ihr braucht kein Visum mehr! Zum Glück wusste er das, sonst hätten wir noch drei Tage im  Niemandsland ausharren müssen...


endlich mal wieder kalt
Chong-Alau Bergkette










Wir nutzten den Rückenwind aus und fuhren los in die weite Ebene Kirgisiens, wo uns Männer mit trolligen Filzhüten freundlich von ihrem Pferd herab zulächelten, Kinder am Strassenrand winkten oder von den hintersten Ecken der Dörfchen zuschrien "Turist, Turist!". Die mutigsten unter ihnen aber sprangen auf die Strasse und versperrten uns den Weg in der Hoffnung uns die Hände abklatschen zu können, worauf sie jeweils in schallendes Gelächter ausbrachen. Bald schon erschien am Horizont die Chong-Alau Bergkette mit dem gigantischen Pik Lenin, der mit seinen 7134 m.ü.M. einer der höchsten Gipfel des Pamirs ist, und ebenfalls der höchste, den man vom Highway aus gesehen hätte. So fuhren wir auf der wunderbar geteerten Strasse in Richtung Sary-Tash und blickten immer wieder, zugegeben etwas wehmütig über unser verpasstes Highlight, hinüber zum Pamir-Massiv. Und neben uns ritten Kirgisen auf ihren Pferden über die Steppe der Sonne entgegen.




Pferde scheinen übrigens besonders geschätzt zu werden in diesem Land. So zeigte uns ein kirgisischer Junge auch erst stolz das Foto seines loshad (Pferd) und erst dann das Bild seiner devushka (Freundin). Und als Nationalgetränk trinken die Kirgisen in den Sommermonaten kymys - vergorene Stutenmilch (haben wir noch nicht gewagt zu trinken, werden wir aber noch tun, versprochen!). 


Kein Traum fuer Fettfuedlischafe...
Ein Traum fuer Pferdefluesterer










Dass wir kein Pferd unter dem Sattel hatten, sondern aus eigener Kraft auf über 3000 m.ü.M. herumfuhren, merkten wir vor allem beim Trinken: Zwei, drei Schlucke Wasser und wir japsten bereits nach Luft. Auch unsere Unterhaltungen während der Fahrt wurden kürzer - uns fehlte schlicht und einfach der Sauerstoff. So genossen wir die Stille der kirgisischen Hochebene und fuhren ins kleine Bergdörfchen Sary-Tash, wo wir in einem kleinen Hotel übernachteten. 


Alp mit Jurten
Hotel Aida in Sary-Tash










Wir konnten uns noch eine Nacht an die Höhe gewöhnen und fuhren am nächsten Tag über den bisher höchsten Pass unserer Reise (3589 m.ü.M.; zwar kein Vergleich zu den Pässen im Pamir, die uns mehrmals über 4000 Meter geführt hätten, doch etwas schummrig im Kopf wurde es uns trotzdem. War eigentlich ganz lustig). Wir fuhren an saftigen Alpweiden vorbei auf denen Yaks grasten und Nomaden in den Bächen vor ihrer Jurte Wäsche wuschen oder sonst irgendwie beschäftigt waren, und anstatt der Melonen, wurde am Strassenrand Stutenmilch angeboten (dank der angenehmen Temperaturen waren wir aber eigentlich gar nicht mehr so durstig). 


und schon wirds wieder heiss...
roti Baeckli und Schlitzoeigli - joeh!










Die gesamte Talfahrt kämpften wir dann gegen fiesen Gegenwind an und konnten nur bei den paar kurzen "8% Gefälle" Abschnitten mal wieder die Beine hängen lassen. Wir sind in Dushanbe von Christoph bereits darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass der Wind in den Bergen am Vormittag vom Pass herab, und am Nachmittag um 180° drehte und den Hang hinauf blies. So wäre es eigentlich am gescheitesten, auf dem Pass zu übernachten, dachten wir, und hängten an die 100 km noch deren 22 an, um die 900 Höhenmeter der nächsten Etappe mit Rückenwind geniessen zu können. 


picklige Huegel
Chyirchik-Pass










So war es dann auch. Etwas müde in den Beinen erreichten wir bei Sonnenuntergang den Chyirchyk-Pass und übernachteten da oben in einer etwas unromantischen Betonjurtenbar. Nach einem Radfahrerfrühstück (Brot, Tee und vier Spiegeleier für jeden) fuhren wir am nächsten Morgen mit tollem Rückenwind in zwei Stunden die 60 km nach Osh, wo wir uns im ersten Hotel niederliessen und den restlichen Tag die Beine hochlagerten.