Sonntag, 18. November 2012

Vom Reis zum Tee und Kaffee. Dazwischen? - Alles Banane!


Das Warten hat sich gelohnt, die richtige Antwort auf unser Rätsel im letzten Eintrag ist doch noch gekommen... Der Dank geht aber nicht nur an Mätthu und seine chinesischen Kollegen, die mit "Tofu skin" die richtige Antwort geliefert haben, sondern auch an all die anderen Lieferanten fantasiereicher Vorschläge!

Wir fanden die Lösung des Rätsels schlussendlich in Jianshui in einem Supermarkt, wo wir zwischen getrockneten Pilzen und Nudeln eine Essensware fanden, die uns stark an diese aufgehängten, gelben Häute erinnerte. Wir fragten eine der zahlreichen, unterbeschäftigten Einkaufsassistentinnen, die hier in jedem mittleren bis grösseren Warenhaus herumlungern und, sobald sie ein Opfer gefunden haben, dieses auf Schritt und Tritt verfolgen. Diese stummen Kundenjägerinnen sind äusserst hartnäckig, denn kaum denkt der Gejagte, er sei in Sicherheit, taucht schon die nächste wachsame Assistentin hinter einem Gestell mit konservierten Wachteleiern, Hühnerfüssen und Bambussprossen auf. Es bleibt dem Opfer nur eine Möglichkeit, dem Spiel ein Ende zu setzen: Gegenangriff. Viele Chinesen lieben es, uns ein freches "Hellöu" oder "Öu-Keeey?" nachzurufen, doch sobald wir auf sie zusteuern, um sie nach dem Weg oder sonstigem zu fragen, reissen sie vor Schreck ihre Augen auf und erstarren für einen Moment, bis sie merken, dass alles doch nicht so schlimm ist und die komischen Ausländer überdies versuchen in Chinesischer Sprache mit ihnen zu kommunizieren. So gingen wir eben in diesem Supermarkt in Gegenangriff über und fragten eine zierliche Chinesin "zhe shi shenme?" (Was ist das?) um der Lösung des Rätsels endlich selbst auf die Spur zu kommen. Die Antwort: "schingschanglinghongschang-TOFU-schingschangschungling" (Blablablabla-TOFU-blablabla). Zugegeben, ohne Wikipedia hätten wir es dann auch nicht rausgekriegt.

Jianshui, im Konfuziustempel
Nach zwei Ruhetagen in Jianshui machten wir uns endlich auf den Weg die berühmten Reisterrassen zu besuchen. Wir waren gespannt, ob sich der strapazenreiche Umweg als lohnenswert erweisen würde, denn der direkte Weg in den Süden, der von Zhenyuan nach Jinghong geführt hätte, wäre nur knapp 400 km lang gewesen. Dank der Reisterrassen würden wir, sobald wir Jinghong erreicht hätten, 1'055 km mit insgesamt 17'760 Höhenmeter zurückgelegt haben. Lohnte sich der Umweg von über 600 km? Die Spannung stieg - die Strasse vor uns ebenfalls - stetig an, denn Terrassen werden, wie es der Name erwarten lässt, nicht in flachen Gegenden gebaut. So strampelten wir Meter für Meter die sich windende Bergstrasse hinauf und hielten jeweils nur kurz an für einen Bananen- oder Nudelstopp. Doch bald, als wir die Tausender Höhenlinie schon eine Weile hinter uns gelassen hatten, wurden die Stopps zahlreicher und länger - wir kamen aus dem Staunen nicht mehr hinaus. Was von unten her noch unauffällige Berghänge waren, entpuppte sich mit einem Blick von oben herab als hunderte, ineinander verflochtene, bewässerte Reisterrassen, die, bevor sie im Frühling wieder mit frischem Reis bepflanzt werden, ganze Hänge in einen lichtreflektierenden schiefen See verwandeln. 

Nach jeder Kurve hielten wir wieder an, um dieses Kunstwerk zu betrachten. Obwohl die Terrassenlandschaften von Hang zu Hang sehr ähnlich aussehen, sind die einzeln geformten Reisfelder doch überall einzigartig und dank des Zusammenspiels von Wind, Sonne und Wolken bot sich uns von Minute zu Minute wieder ein neuer, atemberaubender Anblick, der eine Flut von Fotos zur Folge hatte. Diese kunstvoll bebauten Berghänge, die das Hani-Volk seit ca. 1300 Jahren durch mühevolle Handarbeit schafft, wurden durch gute Strassen für Touristen zugänglich gemacht und auch wir entschieden uns in einem kleinen Hani-Dorf einen Stopp einzulegen. Nur mit unserem Eintrittsticket für 50 Yuan durften wir am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang die eigens dafür gebaute Aussichtsterrasse betreten und das Lichtspektakel über den Reisterrassen von Duoyishu erleben. Dafür hatte sich der kräfteraubende Umweg definitiv gelohnt. 


Morgenstimmung bei Duoyishu
Nebelmeer und schiefer See

Reisterrassen von Yuanyang

starke, wilde Frauen...
...und deren Kinder










Kräfteraubend schien auch die Arbeit der Hani-Frauen, die wir etwas später an diesem Tag beobachteten: Das Dörfchen erhält gerade eine neu gepflasterte Strasse, sowie öffentliche WCs für Touristen. Männer durften Mäuerchen bauen und Frauen schleppten Zement und Backsteine heran. An diesen Anblick denke ich noch oft zurück, wenn ich mich mit letzter Kraft eine steile Strasse hochquäle, dann schweissüberströmt und mit schmerzverzerrter Grimasse anhalte um eine Verschnaufpause einzulegen und mir im Gegensatz zu den Hani, was so viel heisst wie "starke, wilde Frauen", die ohne mit der Wimper zu zucken Schwerstarbeit erledigen, ziemlich erbärmlich vorkomme, weil ich die Schwäche zulasse. 

Endlich! Anstatt Schotter gibt´s Kopfsteinplaster!
Ja, Gefühle zu zeigen unterscheidet uns ziemlich von den Chinesen, mal abgesehen von den offensichtlichen Erscheinungsmerkmalen. Die Chinesen sind zwar oft laut und verwenden auch gerne ein Megafon um sich Gehör zu verschaffen, aber sie erheben ihre Stimme niemals wegen einer Meinungsverschiedenheit, was hingegen Domi und mir doch zwischendurch passiert, worauf wir jeweils verwunderte Blicke ernten und uns etwas schämen... Doch wenn man 24 Stunden "aufeinanderhockt" gehört etwas Luft ablassen einfach dazu, jedenfalls in unserer Kultur, und dies scheint bis jetzt bestens zu funktionieren: Wir sind immer noch als gut eingespieltes Team gemeinsam unterwegs. Schwäche zu zeigen wird bei uns also weiterhin akzeptiert und so forderte ich bereits nach vier weiteren anstrengenden Fahrradtagen einen Ruhetag, dies vor allem auch weil sich die bisher perfekt asphaltierte S214 zwischen Daheishan und Jiahe aus heiterem Himmel in einen Schotterweg verwandelte und zudem aus den berechneten zusätzlichen 500 Höhenmetern plötzlich holprige 800 wurden, die sich an die  morgendlichen 1000 Höhenmeter seit Niukong anhängten. Nach diesem "Achtstünder" war dann sogar Domi etwas müde...


auf dem Markt in einem Dörfchen I
auf dem Markt in einer Grosstadt



auf dem Markt in einem Dörfchen II

Von den Reisterrassen...
...zu den Teeplantagen
...über wolkige Pässe...


Mit jedem Tritt entfernten wir uns weiter von den Reisterrassen. Anstatt der glänzenden Muster der bewässerten Felder zierten nun mehr und mehr dunkelgrüne Sträucher in Reih und Glied das Landschaftsbild: Das Klima hier im südlichen Teil Yunnans scheint perfekt zu sein für den Teeanbau. Wir näherten uns der Teehochburg - Pu'Er. In dieser Gegend wird seit ca. 1'700 Jahren der etwas erdig aber sehr wohlschmeckende Pu-Erh-Tee angebaut, der, wie übrigens fast jede Teesorte, mehrmals aufgegossen werden kann und von den Chinesen auch gerne den ganzen Tag über in farbigen, verschliessbaren Plastikbechern, stylisch-silbrigen Thermoskännchen, oder ganz einfach in simplen Einmachgläsern neu aufgegossen und geschlürft wird. 

Tee...?
Um sicher zu gehen, dass es sich wirklich um Tee handelte, stieg Domi vom Fahrrad, holte sich ein Blatt und wir inspizierten es gemeinsam. Das Blatt roch so gar nicht nach Tee, aber es musste sich ja wohl fast darum handeln, denn mir war Pu-Erh bereits ein Begriff und das Aroma des Tees kommt ja auch erst mit der Fermentierung. Das war unsere einfache Erklärung. Doch als wir weiter durch die Hügel fuhren, vorbei an den riesigen Teeplantagen, bemerkten wir plötzlich "Eindringlinge": 

...oder Kaffee?!!
Neben den geordneten Linien der Teesträucher entdeckten wir etwas grössere, buschigere Sträucher, die, als wir sie von nahem betrachteten, grüne und rote Beeren trugen. Das war Kaffee! Deshalb hatte das Blatt zuvor so gar nicht nach Tee gerochen... Seltsam. Kaffeeanbau in China? Die Chinesen lieben doch ihren Tee! Dreimal dürft ihr raten, welcher Konzern hier seine Finger im Spiel hat, aber bitte, lest selbst:




Bei der Einfahrt in die Stadt Simao deuteten aber die protzigen Bauten der Teefirmen entlang der vielspurigen Strasse darauf hin, dass hier immer noch Tee zu Gold gemacht wird. Noch mehr Profit zu machen, war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb die Präfekturshauptstadt 2007 von Simao in Pu'Er umbenannt wurde: Mit dieser Namensänderung hatte die Präfektur auf einen Schlag ein Vielfaches an Ertrag von "Original Pu-Erh-Tee". Das kleine Dörfchen Pu'Er hingegen, das die offizielle Bezeichnung für den König der Tees lieferte und der Ursprung der alten Teeroute ist, heisst nun Ning'Er. Warum nicht? Wir könnten doch ebenfalls einfach die "Üsserschwiiz" in "Wallis" umbenennen, dann wäre das Raclette-Problem gelöst...

Gegessen an einem ganz normalen
Tag in China
Zurück nach China: Simao/Pu'Er selbst erlebt gerade eine Generalüberholung, alte Häuser werden abgerissen und durch neue Hochhäuser und Business-Hotels ersetzt, was der Stadt einen momentanen Zustand der Verlassenheit verleiht - denn noch fehlen die zusätzlichen Einwohner... Wir freuten uns aber dennoch auf das städtische Leben, denn lange war es her, seit wir das letzte Mal westliches Essen gefunden haben. Wie ihr wahrscheinlich bereits festgestellt habt, dreht sich bei uns alles immer ein bisschen um die Nahrungszufuhr, denn wer so viel radelt braucht auch entsprechend Energie, deswegen ist das Essen meistens unser Hauptthema des Tages und auch fast so was wie unsere Lieblingsbeschäftigung. 
(fast) jeden Abend: die Qual der Wahl
So hängten wir an die 1'700 Höhenmeter und knapp 90 km an diesem Tag noch ca. 3 km zu Fuss an, um vom Hotel ins nächste Dico´s (Chinesisches Fast Food Restaurant) zu kommen, wo wir uns ein Partyfass voller frittierter Hühnerschenkel, -flügelchen, -nuggets und Pouletburger gönnten. Mjamm!! Gut genährt fuhren wir dann am nächsten Tag los, nun wieder in Richtung Süden, nach Xishuangbanna, ins "Thailand" Chinas. Dank der niedrigeren Lage herrscht hier subtropisches Klima: Perfekt für den Anbau zahlreicher tropischer Früchte! Doppelmjamm!! Ja, neben Fast Food ernähren wir uns auch ab und zu gesund: Wir (fr)essen uns von Markt zu Markt durch und verschlingen grosse, mittlere und kleine Bananen, grosse, mittlere und kleine Mandarinen, gelbe, rote und grüne Äpfel, Grenadinen, Kiwis, Mangostane, Cherimoyas und Drachenfrüchte - und werden kaum satt.


...und überall hat´s Bananen.
Immer mehr nähern wir uns nun der Grenze zu Laos und gelangen auch wieder in touristischere Gebiete. So gönnten wir uns auf unserer letzten Etappe vor Jinghong, der Hauptstadt Xishuangbannas, noch einen Zwischenstopp im Elefant Valley. Hier sollen noch einige Elefanten in freier Wildbahn leben. Für je 65 Yuan dürfen auch wir sie suchen gehen. Auf das Seilbähnchen für zusätzliche 50 Yuan pro Person, welches den Rundgang auf einem Baumkronenpfad eigentlich perfekt schliessen würde, verzichteten wir aber und marschierten einfach an beide Enden des Bähnchens hin und wieder zurück, um ja nichts zu verpassen. Elefanten jedoch, haben wir keine gesehen. Die befanden sich wohl alle in der hintersten Ecke des Nationalparks, verscheucht durch chinesische Touristengruppen, deren Anführer trotz der "Silence Please"-Schilder Erläuterungen zu den Attraktionen durch ihr Megafon schrien. Die Attraktionen - tropische Volière mit Hellroten Aras (Verbreitungsgebiet Südamerika) und Wellensittichen (Verbreitungsgebiet Australien), sowie Schmetterlingshaus (dieselben Schmetterlinge, die wir jeden Tag auf der Strasse sehen) liessen wir aussen vor und wandten uns lieber den Beschriftungen der tropischen Bäume zu, die alle vor allem qualitativ hochwertiges Holz zu liefern scheinen... Nach zweistündigem Fussmarsch durch den Park schwangen wir uns endlich wieder in die Sättel und fuhren nach Jinghong, uns schwörend, das letzte Mal in eine chinesische Touristenfalle getappt zu sein...

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